»Bewältigung unserer Vergangenheit heißt Gerichtstag halten über uns selbst.
Der Name Fritz Bauer ist untrennbar verbunden mit den Auschwitz-Prozessen in Deutschland und der Entführung Adolf Eichmanns nach Jerusalem. Der bekennende Sozialdemokrat, brilliante Jurist und spätere Generalstaatsanwalt von Hessen kämpfte unermüdlich gegen große Widerstände im Nachkriegsdeutschland für die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen. Es ist sein Verdienst, dass die Widerstandskämpfer vom 20. Juli 1944 rehabilitiert wurden. Zeitlebens engagierte er sich für eine demokratische Justiz, für eine Reform des Strafrechts und gegen das Vergessen der nationalsozialistischen Massenverbrechen.
Fritz Bauer wird am 16. Juli 1903 in eine deutsch-jüdische Kaufmannsfamilie in Stuttgart geboren. Kindheit und Jugend verlebt er in der damaligen Hauptstadt des Königreichs Württemberg, wo er das traditionsreiche Eberhard-Ludwigs-Gymnasium besucht. Nach dem Abitur studiert Bauer ab 1921 Rechtswissenschaft an den Universitäten Heidelberg, München und Tübingen und wird im Jahr 1927 mit einer Dissertation zum Thema »Die rechtliche Struktur der Truste« zum Dr. jur. in Wirtschaftsrecht promoviert. Als jüngster Richter Deutschlands tritt er 1930 eine Stelle am Amtsgericht seiner Geburtsstadt Stuttgart an. Mit dem Staatsdienst hat sich Bauer als Jurist für einen Berufszweig entschieden, der bis zum Beginn der Weimarer Republik jüdischen Deutschen weitgehend verschlossen geblieben war.
Fritz Bauer tritt leidenschaftlich für die neuen politischen Verhältnisse und die noch junge Demokratie in Deutschland ein. Bereits mit 17 Jahren wird er Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), setzt sich als Amtsrichter für die Gründung des Republikanischen Richterbunds ein und engagiert sich in der sozialdemokratischen Schutzformation »Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold«. Als Vorsitzender der Reichsbanner-Ortsgruppe Stuttgart versucht er ab Anfang der 1930er Jahre an der Seite des SPD-Reichstagsabgeordneten Kurt Schumacher vergeblich den Aufstieg der Nationalsozialisten in Württemberg zu verhindern. Nach deren Machtübernahme 1933 wird Bauer umgehend aus dem Staatsdienst entlassen und für neun Monate im Konzentrationslager Heuberg auf der Schwäbischen Alb und im Garnisons-Arresthaus in Ulm inhaftiert.
1936 emigriert er nach Dänemark, muss 1943 jedoch von dort gemeinsam mit seiner Familie vor der drohenden Deportation über das Kattegat nach Schweden fliehen, wo er sich bis Kriegsende gemeinsam mit dem späteren deutschen Bundeskanzler Willy Brandt in sozialdemokratischen Exilorganisationen engagiert.
Kurz vor Gründung der Bundesrepublik erhält Bauer, der wieder in Dänemark lebt, das Angebot, als Landgerichtsdirektor am Landgericht Braunschweig nach Deutschland zurückzukehren. Er lässt sich 1949 in Norddeutschland nieder und tritt im Jahr darauf die Stelle des scheidenden Generalstaatsanwaltes beim Oberlandesgericht Braunschweig an. In dieser Position initiiert er 1952 ein Verfahren, das ihn mit einem Schlag deutschlandweit bekannt machen sollte, den sogenannten Remer-Prozess.
Der rechtsextremistische Politiker Otto Ernst Remer hatte im Mai 1951 in einer öffentlichen Rede die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 um Claus Schenk Graf von Stauffenberg als Landesverräter bezeichnet und gedroht, sie würden bald schon von einem deutschen Gericht zur Rechenschaft gezogen werden. Bauer erhob daraufhin Klage gegen Remer aufgrund übler Nachrede und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener. Im folgenden Strafverfahren vor dem Landgericht Braunschweig gelang es Bauer 1952, die Widerstandskämpfer, die acht Jahre zuvor versucht hatten Adolf Hitler zu ermorden und so den Krieg zu beenden, zu rehabilitieren und das NS-Regime als Unrechtsstaat zu ächten. Dies war ein Meilenstein auf dem Weg zur juristischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen in Deutschland.
»Ein Unrechtsstaat wie das Dritte Reich ist überhaupt nicht hochverratsfähig.«
Vier Jahre nach dem Remer-Prozess zieht Bauer von Braunschweig nach Frankfurt am Main, wo er zum hessischen Generalstaatsanwalt am dortigen Oberlandesgericht ernannt worden war. Der Wechsel bedeutet für ihn einen weiteren beruflichen Aufstieg. In Hessen unterstehen Bauer nun neun Staatsanwaltschaften sowie 13 Justizvollzugsanstalten. Als oberster Chefankläger des Landes initiiert er ab 1956 eine Welle von Ermittlungs- und Strafverfahren gegen ehemalige NS-Täter. 1957 sorgt er gemeinsam mit dem israelischen Geheimdienst dafür, dass der Organisator der Massendeportationen während des Holocaust, Adolf Eichmann, in Argentinien aufgespürt und später in Jerusalem vor Gericht gestellt wurde.
Auf Bauers Initiative hin findet von 1963 bis 1965 vor dem Landgericht Frankfurt am Main ein Strafverfahren gegen 21 ehemalige SS-Angehörige sowie einen Funktionshäftling des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz statt. Der erste Frankfurter Auschwitz Prozess, einer der größten Strafprozesse der deutschen Nachkriegsgeschichte, führt nicht zuletzt durch eine intensive Medienbegleitung der bundesdeutschen und internationalen Öffentlichkeit erstmals vor Augen, was in Auschwitz geschehen war. Den Zweck des Verfahrens sieht Bauer allerdings weniger in der Bestrafung der Täter, als vielmehr in seiner pädagogischen Wirkung. Bauer, der die Bedeutung eines stabilen und verlässlichen Justizapparates für das Gelingen der Demokratie betont, sieht dieses Vorhaben, das für ihn eine gesellschaftspolitische Selbstaufklärung mit den Mitteln des Rechts war, gleichbedeutend mit der Aufgabe kritischer öffentlicher Selbstreflexion. Er bringt dies auf die Formel: »Gerichtstag halten über uns selbst«.
»›Bewältigung unserer Vergangenheit‹ heißt Gerichtstag halten über uns selbst, Gerichtstag über die gefährlichen Faktoren in unserer Geschichte, nicht zuletzt alles, was hier inhuman war, woraus sich zugleich ein Bekenntnis zu wahrhaft menschlichen Werten in Vergangenheit und Gegenwart ergibt, wo immer sie gelehrt und verwirklicht wurden und werden. Ich sehe darin nicht, wie ein Teil meiner Kritiker zu meinen scheint, eine Beschmutzung des eigenen Nestes; ich möchte annehmen, das Nest werde dadurch gesäubert.1«
Auch abseits der juristischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen setzt sich Bauer intensiv mit der Rolle von Justiz, Recht und Strafe in der modernen Gesellschaft auseinander. In zahlreichen Publikationen, öffentlichen Vorträgen und Diskussionsrunden äußert er sich zu so verschiedenen Themen wie Wirtschaftskriminalität, Widerstandsrecht oder Rechtsextremismus.
Leidenschaftlich wirbt er in Funk und Fernsehen für seine Ideen zur Reform des bundesdeutschen Strafrechts und des Strafvollzugs. Als Fritz Bauer im Juli 1968 überraschend stirbt, verliert die Bundesrepublik mit ihm einen unbeirrten Demokraten, kämpferischen Juristen und unablässigen Mahner vor den wiederkehrenden Schrecken der Vergangenheit.
»Nichts gehört der Vergangenheit an, alles ist noch Gegenwart und kann wieder Zukunft werden. Nichts ist – wie man zu sagen pflegt – ›bewältigt‹; wir stehen erst am Anfang, mag auch die breiteste Öffentlichkeit sich gerne in dem Glauben wiegen, sie habe schon so viel getan, daß ihr zu tun fast nichts mehr übrig bleibe.«2
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Ein »Erinnerungsstück« vom
Fritz Bauer Institut, Frankfurt am Main
www.fritz-bauer-institut.de
Autor: Johannes Beermann-Schön, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fritz Bauer Institut
Gestaltung und redaktionelle Bearbeitung: Dr. Ulrike Horstenkamp, AsKI e. V.
Techn. Bearbeitung von Bild-, Audio- und Videodateien: Franz Fechner, AsKI e.V.
Das Fritz Bauer Institut
Das Fritz Bauer Institut ist eine unabhängige, zeitgeschichtlich ausgerichtete und interdisziplinär orientierte Forschungs- und Bildungseinrichtung. Es untersucht und dokumentiert die Geschichte der nationalsozialistischen Massenverbrechen – insbesondere des Holocaust – und deren Wirkung bis in die Gegenwart. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Vermittlung der einschlägigen deutschen und internationalen Forschung durch Publikationen, Vortragsveranstaltungen und Ausstellungen.
Das Fritz Bauer Institut wurde 1995 vom Land Hessen, der Stadt Frankfurt am Main und dem Förderverein Fritz Bauer Institut e.V. als Stiftung bürgerlichen Rechts ins Leben gerufen. Als An-Institut ist es seit Herbst 2000 mit der Goethe-Universität Frankfurt am Main assoziiert und hat seinen Sitz im IG Farben-Haus auf dem Campus Westend. Im Stiftungsrat des Instituts sind das Land Hessen, die Stadt Frankfurt, die Goethe-Universität und der Förderverein des Fritz Bauer Instituts e.V. vertreten. Der Förderverein und der Wissenschaftliche Beirat unterstützen und begleiten seine Arbeit. Im Jahr 2017 wurde der Lehrstuhl zur Geschichte und Wirkung des Holocaust, der erste in der Bundesrepublik Deutschland zu diesem Themenfeld, geschaffen und am Historischen Seminar der Goethe-Universität angesiedelt. Der Lehrstuhl ist mit der Leitung des Fritz Bauer Instituts verbunden.