Arthur
Rosenmeyer
1878–1962

Mit Goethe im Exil

»

Ich habe mich trotz des Exils immer tief mit der deutschen Kultur verbunden gefühlt.

Arthur Rosenmeyer

Es war ein Glücksfall, dass Arthur Rosenmeyer 1926 in den Verwaltungsausschuss des Freien Deutschen Hochstifts gewählt wurde. Der engagierte Jurist war wortgewandt, voller Tatkraft, als Spezialist für Bühnenrecht im deutschen Kulturleben gut vernetzt und literarisch interessiert. Goethe und den Frankfurter Goethestätten galt seine Leidenschaft. Im Goethejahr 1932 ausgezeichnet, widerfuhr dem Mann des Rechts nach 1933 großes Unrecht. Doch die »vorbildliche Tapferkeit«, die ihm als Frontkämpfer bescheinigt wurde, behielt er auch im zivilen Leben bei. Trotz Ausgrenzung, Raub und Demütigung engagierte er sich bis zu seiner Vertreibung im Dezember 1938 in Frankfurt am Main für seine jüdischen Mitbürger. Und auch im Exil in London blieb die Verbindung zur deutschen Kultur bestehen. Auch dem Freien Deutschen Hochstift, dessen Direktor Ernst Beutler und dem ›Hausherrn‹ am Großen Hirschgraben, Johann Wolfgang Goethe, blieb er bis zuletzt zugetan.

Kindheit und Jugend

Arthur Rosenmeyer wird am 26. Oktober 1878 in Homenau (damals ungarisch: Homonna, heute: Humenné in der Slowakei) geboren. Er ist das vierte und jüngste Kind seiner Eltern Isaak Jakob (1828–1886) und Ottilie Esther (1839–1918) Rosenmeyer (geb. Wolf). Beide sind Lehrer und haben sich auch bei der Schularbeit kennengelernt. Der Vater ist Oberlehrer an der Musterschule in Homonna und stammt aus dem kurhessischen Wolfhagen in der Nähe von Kassel. Die Mutter ist im ungarischen Sátoraljaúhely (dt.: Neustadt am Zeltberg) geboren. Arthur Rosenmeyer hat drei Geschwister, den Bruder Ludwig (1858–1942) und die beiden Schwestern Friederike (1860–1928) und Sidonie (1863–1942), die alle wesentlich älter sind als er.

1880 zieht die Familie nach Mainz, wo der Vater 1886 stirbt. Ein Jahr später zieht die Mutter mit ihrem jüngsten Sohn Arthur nach Metz, wo bereits die Tochter Sidonie mit ihrer Familie lebt. Metz war nach dem deutsch-französischen Krieg 1871 an Deutschland gefallen und gehört nun zum deutschen Reichsland Elsass-Lothringen. Am Gymnasium in Metz macht Arthur 1898 sein Abitur.

Studium der Rechts­wissen­schaften

Nach dem Abitur absolviert Arthur Rosenmeyer zunächst ein Freiwilligenjahr beim Königlich Bayerischen 1. Fußartillerie-Regiment in München und beginnt dann an der Bayerischen Kriegsakademie mit dem Studium. Die Mutter zieht 1900 nach Frankfurt am Main, wo seit 1886 der älteste Sohn Ludwig mit seiner Familie lebt und sehr erfolgreich als Arzt der Augenheilkunde praktiziert. Ludwig unterstützt seine Mutter und seinen Bruder Arthur, der mittlerweile an der Marburger Universität Rechtswissenschaften studiert und 1901 mit einer Arbeit über Konkursrecht einen Preis gewinnt. 1902 schließt er sein Studium als Doktor der Rechte ab und absolviert sein erstes Staatsexamen in Kassel. Das zweite Staatsexamen folgt im Jahr 1906 in Berlin.

Urkunde zum Staatsexamen, Berlin, 17.12.1906
Urkunde zum Staatsexamen, Berlin, 17.12.1906 / © Privatbesitz

Am 15. Januar 1907 wird er am Landgericht Frankfurt am Main als Anwalt zugelassen. Er ist Mitarbeiter am Wolffschen Kommentar zum BGB (Erbrecht, Internationales Privatrecht) und wirkt am Kommentar zum Automobilgesetz und zum Bühnenvertragsrecht mit. Seine Ernennung zum Notar erfolgt im Sommer 1920. Bereits seit 1910 ist er mit Irma Julie Ehrmann (1888–1974) verheiratet, einer gebürtigen Frankfurterin, deren Vater Stefan (Solomon) Ehrmann (1855–1910) aus Hattersheim stammt und mit seinen zwei Brüdern einen Weinhandel betreibt. Der Sohn Hanns Karl (1911–1982) wird 1911 geboren.

Arthur Rosenmeyer in Frankfurt, um 1930 u. Irma Rosenmeyer geb. Ehrmann, Frankfurt am Main, Weihnachten 1936 / © Privatbesitz
Arthur Rosenmeyer in Frankfurt, um 1930 u. Irma Rosenmeyer geb. Ehrmann, Frankfurt am Main, Weihnachten 1936 / © Privatbesitz

Aus­zeich­nungen im Ersten Welt­krieg

Im Ersten Weltkrieg wird Arthur Rosenmeyer mit zahlreichen Orden geehrt. Neben der Hessischen Tapferkeitsmedaille und dem Hamburger Hanseatenkreuz wird ihm auch das Eiserne Kreuz I. und II. Klasse verliehen.

Seine »vorbildliche Tapferkeit« wird Rosenmeyer nach der Macht­übernahme durch die National­sozialisten im April 1933 von seinem Hauptmann und Batterieführer bescheinigt, um ihn vor Repressionen im Beruf durch die neue Gesetzgebung zu bewahren. Erst einmal ist Arthur Rosenmeyer so vor beruflichen Repressalien geschützt – wenn auch nur für kurze Zeit.

Am 31. Oktober 1934 bekommt er vom Frankfurter Polizeipräsidenten im Namen »des Führers und Reichskanzlers« sogar noch das Ehrenkreuz für Frontkämpfer verliehen.

Leidenschaft für das Theater

Nach dem Krieg kehrt Arthur Rosenmeyer wieder in den Anwaltsberuf zurück. Er arbeitet als ständiger Anwalt großer Versicherungsgesellschaften als Spezialist für Verkehrsrecht (Unfallversicherung), aber seine besondere Leidenschaft gilt dem Theater. 1926 erscheint im Verlag Otto Liebmann sein Buch zum ‚Bühnenvertragsrecht‘, das selbst während der Nazi-Zeit noch als Standardwerk gilt.

Er fungiert seit November 1918 als juristischer Berater des Bühnenrates in Frankfurt am Main und arbeitet seit 1922 als Syndikus des Bezirksverbandes Hessen-Nassau der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (Vertrag aufgelöst am 4.6.1933). Zu seinen Mandaten zählen u.a. Martin Buber, Ilja Ehrenburg, Joseph Roth, Heinrich George und Paul Hindemith. Rosenmeyers Kanzlei befindet sich auf der Zeil 127, er selbst wohnt mit seiner Familie in der Bockenheimer Landstraße 79.

Wohnhaus in der Bockenheimer Landstraße 79
Wohnhaus in der Bockenheimer Landstraße 79 / © Privatbesitz

Rosenmeyer und das Freie Deut­sche Hoch­stift

Seit wann Arthur Rosenmeyer dem Freien Deutschen Hochstift als Mitglied angehört, lässt sich nicht genau feststellen. Er engagiert sich allerdings bereits im Akademischen Gesamt-Ausschuss, als Ernst BeutleR 1925 zum Direktor des Freien Deutschen Hochstifts gewählt wird. Seine guten Kontakte zu den Bühnenschaffenden Deutschlands kommen sicher auch dem Hochstift zugute. Am 9. Januar 1926 wird er in den Verwaltungsausschuss gewählt, gemeinsam mit dem Verleger Heinrich Simon, dem Direktor der Freiherrlich Carl von Rothschildschen Bibliothek, Christian Berghoeffer, und dem Bankier Heinrich Emden. Ernst Beutler berichtet im Jahr 1959 rückblickend über »Rechtsanwalt Dr. Rosenmeyer, heute 80 Jahre, in London, EK II und EK I, jüdischer Anwalt, mir ein lieber Freund, der mich jährlich mit seiner Frau besucht.«

Ein neues Frankfurter Goethe-Museum

Arthur Rosenmeyer wird Beutler und dem Hochstift in den folgenden Jahren zu einem wichtigen Förderer. Als Anwalt und Notar berät er den neuen Direktor bei den Plänen, bis zum Goethejahr 1932 ein neues Frankfurter Goethe-Museum im Großen Hirschgraben zu errichten. Im Jahr 1927 begründet er zudem die ‚Zeitschrift der Anwaltskammer im Oberlandesgerichtsbezirk Frankfurt am Main‘, als deren Schriftleiter er bis Mai 1933 fungiert. Im Goethejahr 1932 bringt er eine Goethe-Nummer heraus, in der er einen Beitrag über ‚Goethe und das Theaterrecht‘ veröffentlicht.

Titelblatt der Goethe-Nummer der Zeitschrift der Anwaltskammer, Januar 1932 / © Freies Deutsches Hochstift – Frankfurter Goethe-Museum
Titelblatt der Goethe-Nummer der Zeitschrift der Anwaltskammer, Januar 1932 / © Freies Deutsches Hochstift – Frankfurter Goethe-Museum

Eingeleitet wird das Heft mit dem Artikel »Recht und Ordnung« von Ernst Beutler. Rosenmeyer unterstützt die»Volksspende für Goethes Geburtsstätte« mit Rat und Tat und erhält im August 1932 als »Ausdruck des Dankes für die verdienstvolle Tätigkeit, mit welcher Sie zum Gelingen der Goethe-Jahrhundertfeier 1932 beigetragen haben« die Ansteckbrosche des Freien Deutschen Hochstifts »als Zeichen dauernder Verbundenheit«.

Verleihungsurkunde der FDH-Ansteckbrosche, Frankfurt am Main, August 1932 / © Privatbesitz
Verleihungsurkunde der FDH-Ansteckbrosche, Frankfurt am Main, August 1932 / © Privatbesitz

Seit 1929 sammelt das Hochstift Geld, um Goethes Elternhaus vor dem Verfall zu retten und ein erweitertes Goethe-Museum zu bauen. Die Volksspende wird ein großer Erfolg, am 14. Mai 1932 kann das erweiterte Goethe-Museum mit einer Festrede von Thomas Mann eröffnet werden. Zu Goethes Geburtstag am 28. August 1932 erhält der Dichter Gerhart Hauptmann den Goethepreis der Stadt Frankfurt im Goethe-Haus verliehen. Anschließend findet in der Paulskirche eine große Gedächtnisfeier statt, bei der auch Arthur Rosenmeyer die Goethemedaille erhält.

»National­so­zi­ale Bedrohung«

Als nur wenige Monate später die Nationalsozialisten die Macht an sich reißen, sind mit Arthur Rosenmeyer, Georg Swarzenski, Heinrich Simon, Julius Cahn und Paul Neumann noch fünf jüdische Mitglieder im Verwaltungsausschuss des Freies Deutschen Hochstifts vertreten. Außerdem fungiert Karl Bacher als Vorsitzender des Pflegamtes. Arthur Rosenmeyer nimmt am 22. Februar 1933 zum letzten Mal an einer Sitzung des Verwaltungsausschusses teil. In der darauf folgenden Sitzung am 6. Dezember 1933 wird im Zuge der Gleichschaltung eine Umgestaltung des Gremiums beschlossen, die in der Hauptversammlung Ende Dezember verabschiedet werden soll.

 Vorschlagsliste Wahl 1933 mit handschriftlichen Anmerkungen Beutlers / © Freies Deutsches Hochstift – Frankfurter Goethe-Museum
Vorschlagsliste Wahl 1933 mit handschriftlichen Anmerkungen Beutlers / © Freies Deutsches Hochstift – Frankfurter Goethe-Museum

»Nationalsoziale Bedrohung« schreibt Beutler nachträglich an den Rand des Berichts, in dem der Vorsitzende Alexander von Bernus nach Gesprächen mit dem NS-Oberbürgermeister Friedrich Krebs und dem Gaukulturwart Friedrich Bethge neue Kandidaten für das oberste Hochstiftsgremium vorschlägt. Außer Swarzenski und Neumann scheiden alle jüdischen Vertreter aus dem Ausschuss aus; im Protokoll wird es heißen, sie hätten »ihre Ämter zur Verfügung gestellt«.

Arthur Rosenmeyers Platz nimmt Hans Meissner ein, der neue Generalintendant der Städtischen Bühnen. Die Namen von Arthur Rosenmeyer und Heinrich Simon tauchen bereits im Jahresbericht 1934/1935 nicht mehr auf, ohne dass ihr Ausscheiden – wie sonst üblich – im Text erwähnt worden wäre. Verschiedene Dokumente und Berichte legen nahe, dass Ernst Beutler mit den jüdischen VA-Mitgliedern vorab Gespräche führt.

Offenbar informiert er sie über die Gespräche der Hochstiftsleitung mit den neuen Machthabern und bittet sie, nicht mehr zur Wiederwahl anzutreten bzw. aus dem Gremium auszuscheiden. Man befürchtet Sanktionen gegen das Freie Deutsche Hochstift, weil bei der Gauleitung und anderen NS-Organisationen die Meinung vorherrscht, dass im Hochstift »jüdisch-liberale Luft« wehe.

Aus Beutlers Tagebuch geht hervor, dass er zumindest mit Paul Hirsch und Rosenmeyer im Vorfeld der Sitzung am 6. November 1933 Gespräche führt. In einem nach dem Krieg geschriebenen Brief an den Verwaltungsausschuss des Freien Deutschen Hochstifts erinnert sich Rosenmeyer:

»In Ihrem Schreiben vom 19. Dezember 1933, in dem Sie mein Ausscheiden aus dem Verwaltungsrate bestätigten, geben Sie der Hoffnung Ausdruck, dass ich auch ausserhalb des Ausschusses ‚ein Freund und Förderer‘ des Hochstifts bleiben werde. In meinen Gedanken bin ich das stets geblieben.«

Brief von Arthur Rosenmeyer an das FDH, London, 26.8.1951 / © Freies Deutsches Hochstift – Frankfurter Goethe-Museum
Brief von Arthur Rosenmeyer an das FDH, London, 26.8.1951 / © Freies Deutsches Hochstift – Frankfurter Goethe-Museum

Es wird bedrohlich für Arthur Rosenmeyer. Er muss die Schriftleitung seiner Zeitschrift niederlegen und sein Haus wird von der Gestapo durchsucht. Sein Sohn Hanns Karl muss aufgrund der Rassegesetze kurz vor seinem letzten Examen sein Jura-Studium an der Frankfurter Universität abbrechen. Von seinen Eltern wird er nach Schottland geschickt, kann dort sein Studium in Edinburgh abschließen und bleibt in Großbritannien. Sir Gerald Chichester, Privatsekretär von Queen Mary, nimmt sich seiner an. Er wird 1938 auch Arthur und Irma Rosenmeyer helfen, die Einwanderungsgenehmigung nach Großbritannien zu erhalten.

Zusammen­arbeit mit Martin Buber

Aufgrund des ›Frontkämpferprivilegs‹ − einer Ausnahmeregelung, die zeitweilig jüdische Beamte, die im Ersten Weltkrieg an der Front gekämpft hatten, vor der Entlassung schützt − kann Arthur Rosenmeyer auch nach 1933 zunächst weiter als Anwalt tätig sein und leistet praktische juristische Hilfe für deutsche Juden, die unter der antisemitischen Gesetzgebung leiden. Er engagiert sich in jüdischen Organisationen, bietet Rechtsberatung an und ist im Bereich der jüdischen Erwachsenenbildung tätig. Dabei arbeitet er mit Martin Buber zusammen.

Buber hatte von 1924 bis 1933 – zunächst als Lehrbeauftragter, später als Honorarprofessor für jüdische Religionslehre und Ethik – an der Universität Frankfurt am Main unterrichtet, seine Professur nach der Machtübernahme Hitlers jedoch niedergelegt, um einer Aberkennung zuvorzukommen. Danach wirkt er am Aufbau der ›Mittelstelle für jüdische Erwachsenenbildung‹ bei der Reichsvertretung der Deutschen Juden mit und öffnet im November 1933 das Jüdische Lehrhaus in Frankfurt wieder. 

Buber ist schon lange ein Mandant Rosenmeyers und lässt sich nun von ihm juristisch bei der Wiedereröffnung des Lehrhauses und dessen Betrieb beraten. Auch bei einem anderen Projekt arbeiten Rosenmeyer und Buber zusammen. Bereits seit Mai 1933 sind beide an den Überlegungen beteiligt, in Frankfurt Kurse zur rechtlichen und wirtschaftlichen Selbsthilfe, Konzerte jüdischer Musiker, Unterrichtsvermittlung sowie kulturelle Jugendarbeit anzubieten. Im Februar 1934 wird daher ein Antrag auf Gründung eines ›Kulturbundes Deutscher Juden für Frankfurt/M. und den Rhein-Main-Bezirk, Sitz Frankfurt/M.‹ eingereicht, den u.a. Buber, der Kaufmann und Bibliophile Paul Hirsch sowie Hans Wilhelm Steinberg, der 1933 entlassene Generalmusikdirektor des Frankfurter Opernhauses, unterzeichnen.

Im Martin Buber-Archiv der National Library of Israel findet sich die Kopie eines handgeschriebenen Manuskripts zur Gründung des Kulturbundes, das auch die Unterschrift von Arthur Rosenmeyer trägt. Weitere Unterzeichner waren der Verlagsbuchhändler Felix Kauffmann (1941 in die USA emigriert), die Nationalökonomin Hedwig Michel (1942 im Ghetto Łódź gestorben) sowie der Soziologe und Bankier Walter Sulzbach (1937 in die USA emigriert).

Ein Dokument im Nachlass von Arthur Rosenmeyer das zeigt, dass er nach 1933 auch Vorträge zur jüdischen Erwachsenenbildung hielt. Es handelt sich um ein Vortragsmanuskript mit dem Titel »Der Jude als Dichter, Regisseur und Schauspieler im deutschen Kulturkreis«. »Dem Deutschen Juden ist heute das deutsche Theater verschlossen.« schließt der Vortrag wehmütig, aber selbstbewusst. Vortragsmanuskript »Der Jude als Dichter«, S.1, um 1934 / © Privatbesitz
Ein Dokument im Nachlass von Arthur Rosenmeyer das zeigt, dass er nach 1933 auch Vorträge zur jüdischen Erwachsenenbildung hielt. Es handelt sich um ein Vortragsmanuskript mit dem Titel »Der Jude als Dichter, Regisseur und Schauspieler im deutschen Kulturkreis«. »Dem Deutschen Juden ist heute das deutsche Theater verschlossen.« schließt der Vortrag wehmütig, aber selbstbewusst. Vortragsmanuskript »Der Jude als Dichter«, S.1, um 1934 / © Privatbesitz

Abschied von Frankfurt

Seine Zulassung als Notar verliert Arthur Rosenmeyer im November 1935. Nach der Reichs­pogromnacht im November 1938 erhält er Berufsverbot als Rechtsanwalt und wird zum 1. Dezember 1938 auch aus der Liste der Frankfurter Anwälte gelöscht. Noch im gleichen Monat verlässt er Frankfurt am Main und emigriert mit seiner Familie nach London, wo bereits sein Sohn lebt.

»Ich bin immer noch stolz darauf, dass ich die Medaille des Hochstifts für Verdienste um das Goethe Haus habe, ich habe sie hier, es ist das einzige, was ich gerettet habe.«

Arthur Rosenmeyer an Ernst Beutler

Beutler kommt zum Abschied an den Bahnhof. In seinem ersten Brief an Rosenmeyer nach dem Krieg schreibt er: »Ich erinnere mich noch deutlich, wie Sie mir auf dem Hauptbahnhof aus dem Zug winkten und sagten: ›Rinn in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln‹«. Rosenmeyer antwortet: »Ebenso froh war ich, dass die Schätze des Goethe Hauses gerettet sind und dass Sie wieder aufbauen wollen. Ich bin immer noch stolz darauf, dass ich die Medaille des Hochstifts für Verdienste um das Goethe Haus habe, ich habe sie hier, es ist das einzige, was ich gerettet habe. Meine Bibliothek, meine Sammlungen alles ist von der Gestapo versteigert worden und was ich hier von 38 bis 40 neu aufbaute, wurde verbombt. Aber ich schaue nicht zurück, es ist immer noch ›rin in die Kartoffeln, raus aus die Kartoffeln.‹«

Familien­schicksale

Auch andere Familienangehörige, wie sein Neffe, der Augenarzt Walter Rosenmeyer (1891–?) und sein Schwager Walter Ehrmann emigrieren 1938 nach England. Arthurs 80 Jahre alter Bruder, der Geheime Sanitätsrat und Augenarzt Dr. med. Ludwig Rosenmeyer, Großmeister und Ehrengroßmeister der Frankfurter Johannis-Loge ›Zur aufgehenden Morgenröthe‹, bleibt in Frankfurt am Main.

Er verübt am 26. Juli 1942 im Alter von 84 Jahren Selbstmord. Seine Ehefrau Mathilde geb. Bach (1866–1942) wird im August 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo sie am 13. Dezember 1942 ums Leben kommt. Ihre Tochter Helene Mendel geb. Rosenmeyer (1889–1942) wird am 20. Oktober 1941 von Frankfurt am Main aus in das Ghetto Łódź (früher: Litzmannstadt) deportiert, wo sie am 4. Februar 1942 stirbt.

Sidonie Rosenmeyer, die Schwester von Arthur und Ludwig, wird im September 1942 von Berlin aus nach Theresienstadt deportiert; sie stirbt dort Ende September im Alter von 79 Jahren. Ihr Sohn Ludwig (1886–1943) wird in Berlin in einem Versteck entdeckt und am 17. Mai 1943 nach Auschwitz deportiert, wo er den Tod findet. Insgesamt werden mindesten 21 Verwandte der Familien Rosenmeyer und Ehrmann Opfer der Shoa.

Neuanfang als Continental Lawyer

Arthur und Irma Rosenmeyer erreichen England im Dezember 1938 nur mit Handgepäck, darunter wichtige Papiere, einige Kleider und 10 RM. Alle Bücher, Möbel, die meisten Kleider, Kunst, Schmuck sowie viele persönliche Erinnerungen und Dokumente müssen sie in Frankfurt am Main zurücklassen. Ihr Sohn Hanns, der damals schon als Buchhalter arbeitet, unterstützt seine Eltern. Er wird als Deutscher nach Kriegsausbruch in einem Lager auf der Isle of Man inhaftiert, nachdem er entlassen wird, tritt er der Britischen Armee bei. 1946 lässt er sich in Hans Charles Romney umbenennen.

Arthur Rosenmeyer beginnt als Sachbearbeiter in einer kleinen Anwaltskanzlei, bevor er sich im Februar 1939 als ›Continental Lawyer‹ in London niederlässt und zumeist Flüchtlinge berät. Er wird Mitglied der ›Association of Jewish Refugees‘ (AJR)‹ Rechtsberater des ›Enemy Property Branch ofthe Board of Trade‹ der Britischen Regierung und Vorstandsmitglied der ›Association of Democratic Lawyers‹. 1948 erhält er die Britische Staatsbürgerschaft. 1949 wird er zum Ehrenmitglied der Rechtsanwaltskammer Frankfurt am Main ernannt; 1952 erhält er eine Ehrenprofessur der Philipps-Universität Marburg.

Besuch im Frankfurter Goethe-Haus

Arthur Rosenmeyer besucht seine einstige Heimatstadt 1951 und wird von Ernst Beutler durch das gerade wiedereröffnete Frankfurter Goethe-Hauses geführt. Beutlers Ringen um den originalgetreuen Wiederaufbau des im Krieg völlig zerstörten Frankfurter Goethe-Hauses hatte er von London aus mitverfolgt. Nun steht er in den wiederaufgebauten Räumen.

»Ich habe mich trotz des Exils immer tief mit der deutschen Kultur verbunden gefühlt, dies Gefühl ist mir aber nie so klar zum Bewusstsein gekommen wie in dem Augenblick, als in Ihren Räumen die Geister der Bücher zu mir sprachen. Aber noch intensiver als die Unterhaltung mit den Büchern wirkte das Lebenscentrum dieser Räume – der Mensch, von dem ich spürte, dass er in dem Feuerofen der letzten Jahre zu edlem Metall gebrannt und geläutert wurde.
Ich las die Besinnung – es ist ein Bekenntnis dieser zu festem Guss gebrannten Glocke, deren Ton mich innerlich aufs Tiefste packte. Ich habe wirklich gespürt, dass Sie das Innere, das Allerheiligste des Tempels gesehen hat, der im Worte Goethe verkörpert ist.«

Rosenmeyer spielt hier auf Ernst Beutlers Schrift ›Besinnung‹ an, die bereits 1946 in der ›Reihe der Vorträge und Schriften‹ des Hochstifts erschienen war. Der Text dokumentiert Beutlers erste Rede nach der Befreiung von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Er hatte sie am Goethe-Geburtstag 1945 gehalten und darin deutliche Worte zur deutschen Schuld und Verantwortung für Krieg und Verbrechen gefunden.

Arthur Rosenmeyer bleibt dem Freien Deutschen Hochstift bis zu seinem Tod verbunden.  Er stirbt am 11. April 1962 in London.

Nachruf der Genossenschaft deutscher Bühnen-Angehöriger 1962 / © Privatbesitz
Nachruf der Genossenschaft deutscher Bühnen-Angehöriger 1962 / © Privatbesitz

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Über das Porträt

Ein »Erinnerungsstück« vom
Freies Deutsches Hochstift –
Frankfurter Goethe-Haus und Deutsches Romantik-Museum, Frankfurt am Main
www.freies-deutsches-hochstift.de

Autor: Dr. Joachim Seng, Leiter der Bibliothek am Freien Deutschen Hochstift

Gestaltung und redaktionelle Bearbeitung: Dr. Jessica Popp, AsKI e. V.

Techn. Bearbeitung von Bild-, Audio- und Videodateien: Franz Fechner, AsKI e.V.

Quellenangaben

Das Freie Deutsche Hochstift
Das Freie Deutsche Hochstift ist eines der ältesten Kulturinstitute Deutschlands und eine gemeinnützige Forschungsinstitution. Sie wird zu gleichen Teilen gefördert von der Bundesrepublik Deutschland, dem Land Hessen und der Stadt Frankfurt am Main.

Zu ihm gehört als ideeller und anschaulicher Mittelpunkt Goethes Elternhaus am Großen Hirschgraben in Frankfurt am Main.

Danksagung des Autors
Mein ganz besonderer Dank gilt Charles Rosenmeyer (Tonbridge, Kent), dem Enkel Arthur Rosenmeyers, mit dem ich seit Mai 2013 über seinen Großvater im Gespräch bin. Ihm verdanke ich wichtige Informationen und Dokumente, ohne die es nicht möglich gewesen wäre, diesen Artikel zu schreiben. Die meisten der Originale, die mir Charles Rosenmeyer zur Verfügung stellte, befinden sich heute im Jüdischen Museum Berlin. Ich bedanke mich für die Erlaubnis, Bilder und Dokumente hier veröffentlichen zu dürfen.