Eduard Berend
1883–1972

Pionier der
Jean Paul-Philologie

»

Daß Jean Paul nach Zeiten großen Ruhms und langen Vergessens zu einem neuentdeckten und neugelesenen Dichter wurde und auch die Jean-Paul-Forschung neuen Auftrieb erhielt, ist vor allem Berends Verdienst.

Bernhard Zeller, Memorabilien

Der Philologe Eduard Berend hat durch die Edition der historisch-kritischen Ausgabe der Sämtlichen Werke von Jean Paul und seine wissenschaftliche Aufbereitung des Nachlassmaterials eine Grundlage für die Jean Paul-Philologie geschaffen. Nach Berufsverbot, Internierung und Exil kehrte er 1957 nach Deutschland zurück.

Auf dem Weg
zu Jean Paul

Eduard Berend wächst als viertes Kind des Rechtsanwalts, Notars und späteren Geheimen Justizrates Emil Berend und seiner Frau Mathilde, geb. Jacobsen, in Hannover auf. Das Judentum als Religion hat für seine Eltern und ihn kaum noch Bedeutung. Rückblickend verdeutlicht Berend den damit verbundenen Generationenkonflikt durch die Erinnerung, dass die Eltern vor Weihnachten stets einen Weihnachtsbaum für die Kinder aufstellten, ihn aber versteckten, wenn sich um diese Zeit die Großeltern ankündigten, die noch an den jüdischen Gesetzen festhielten. (Knickmann I, 44)

Studienzeit und Beginn der Arbeit zu Jean Paul

Berend entscheidet sich nach dem Schulabschluss 1902 zunächst für ein naturwissenschaftliches und technisches Studium in Hannover, wechselt aber bereits nach einem Jahr zur Philologie und studiert in München und Berlin unter anderem bei Gustav Roethe, Richard M. Meyer und Erich Schmidt – den prägenden Germanisten seiner Zeit – sowie bei dem Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin. 1907 wird er mit der Dissertation »Jean Pauls Ästhetik« promoviert. Die Arbeit zeichnet sich durch den sorgfältigen Einbezug des handschriftlichen Nachlasses von Jean Paul in der Preußischen Staatsbibliothek aus. Sie wird zum Ausgangspunkt einer mehr als 60-jährigen Arbeit, die daraus besteht, das in Drucken, Manuskripten und Notizen überlieferte Werk zugänglich zu machen und philologisch zu kommentieren.

Erste Editionen

Nach Abschluss der Promotion gibt Berend als Privatgelehrter zunächst Werke von TIECK in »Bongs Goldener Klassiker-Bibliothek« heraus. 1910 erscheint hier auch seine erste Jean Paul-Edition, die »Vorschule der Ästhetik«, innerhalb einer achtbändigen Werkausgabe, die Berend mit seinem Freund KARL FREYE herausgibt. Daneben schreibt er kleinere Aufsätze für fachwissenschaftliche und literarische Zeitschriften wie »Euphorion«, die »Zeitschrift für Bücherfreunde« und die »Münchener Neuesten Nachrichten« – letzteres ist vermutlich der Vermittlung KARL WOLFSKEHLS zu verdanken, der für die Redaktion arbeitet und entfernt mit dem Philologen verwandt ist. Gemeinsam mit JULIUS PETERSEN beginnt Berend 1910 mit der Ausarbeitung eines ersten Entwurfs für eine 13-bändige Jean-Paul-Auswahlausgabe, nachdem in den Jahren zuvor Forderungen einer wissenschaftlichen Edition zwar innerhalb des Fachs diskutiert, aber wieder versandet waren. Zu unüberschaubar schien der riesige Nachlass und zu umstritten war die Perspektive auf das Werk, das damals nur eine kleine Leserschaft fand.

Der »betriebsame Literaturjude«

Berends und Petersens Entwurf werden nicht umgesetzt, bilden aber 1914 die Grundlage für einen bei der Preußischen Akademie der Wissenschaften eingereichten, detaillierten Plan zu einer großen historisch-kritischen Gesamtausgabe. Gustav Roethe, bei dem Petersen und Berend studiert hatten, unterstützt die Pläne und signalisiert zugleich in einem Brief an Julius Petersen, dass Berend als einer der »betriebsamen Literaturjuden« (Brief vom 26.3.1914) gegenüber der Akademie, die das Projekt fördern sollte, nicht als Antragssteller auftreten könne. Der systemische Antisemitismus bestimmt Berends wissenschaftliche Laufbahn und mag auch dafür verantwortlich sein, dass er keine akademische Position antritt. Das Großprojekt der Edition von Jean Pauls Schriften entspricht seinen wissenschaftlichen Neigungen, ist aber wohl auch eine der wenigen Möglichkeiten, als Philologe im Kernbereich des Fachs zu wirken. Zunächst finden jedoch zu Beginn des Ersten Weltkriegs alle editorischen Pläne aus äußeren Gründen ein vorläufiges Ende.

»Vaterländische Pflichterfüllung«

Berend meldet sich freiwillig zum Kriegsdienst. Nachdem er aufgrund seiner starken Kurzsichtigkeit als kriegs­untauglich eingestuft wird, engagiert er sich in München in einem Wohlfahrtsausschuss, bis er schließlich im März 1915 auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin zum Militärdienst einberufen wird. Den Kontakt zu Julius Petersen und anderen Kollegen hält er durch Briefe aufrecht. Der Kriegsdienst erscheint ihm als ›vaterländische Pflicht‹; für Berend hat diese Zeit eine herausragende Bedeutung. Noch in einem 1942 vermutlich im Zuge der Bemühungen um eine Aufenthalts­genehmigung für die Schweiz verfassten Lebenslauf vermerkt Berend:

»Nach Ausbildung im Rekrutendepot in Kempten und anschliessender Absolvierung eines Offiziersaspirantenkurses in Freising meldete ich mich im Oktober ins Feld und kam zum 3. bayr. Landwehr-Inf.-Regt. in die Vogesen, wo ich mit geringen Unterbrechungen durch Ausbildungskurse, Urlaube und Verwundung bis zum Schluss des Krieges an der Front gestanden habe. Am 21. April 1916 wurde ich zum Unteroffizier befördert, am 11. Sept. 1916 zum Vicefeldwebel, am 26. Okt. 1916 zum Leutnant d. R., am 18. Sept. 1918 zum Führer der 12. Kompanie/L.I.R.3. bei einem von mir geleiteten Pat[r]ouillenunternehmen wurde ich am 29. April 1918 verwundet. An Auszeichnungen erhielt ich das E.K. II. und I. Kl., den bayr. Militärverdienstorden IV. Kl. M. Schw. Und das Verwundetenabzeichen; später noch das Ehrenkreuz. Nachdem ich im November 1918 meine Kompanie in die Heimat geführt hatte, wurde ich am 13. Dezember in Erding entlassen.« 

Eduard Berend in seinem Lebenslauf, 1942

Die Auszeichnungen und Verdienste im Ersten Weltkrieg schützen Berend nach 1933 zunächst vor dem Zugriff der Nationalsozialisten. 

Edition der »Sämtlichen Werke«

Zurück in Deutschland bemüht sich Berend vergeblich darum, akademisch Fuß zu fassen. Drei Habilitationsgesuche zwischen 1919 und 1920 – in Tübingen, Frankfurt und Freiburg – werden abgewiesen, scheitern teilweise an fach- und fakultätsinternen Kämpfen, teilweise am latenten Antisemitismus innerhalb der Universität. Berend findet sich mit einer Laufbahn als Privatgelehrter ab und arbeitet zwischenzeitlich an der Münchner Volksbibliothek, bis sich schließlich Mitte der 20er-Jahre eine Möglichkeit zur Wiederaufnahme der Editionspläne ergibt:

»Nachdem ich durch die Inflation den grössten Teil meines Vermögens eingebüsst hatte, zog ich im Herbst 1923 zu meiner Schwester nach Berlin und beschäftigte mich dort hauptsächlich mit dem in der Preussischen Staatsbibliothek aufbewahrten Nachlass Jean Pauls. 1925 beteiligte ich mich an der Gründung der Jean Paul-Gesellschaft in Bayreuth und an deren Berliner Ortsgruppe. In den folgenden Jahren wurde ich von der Preussischen Akademie der Wissenschaften mit der Herausgabe einer wissenschaftlichen Gesamtausgabe von Jean Pauls Werken und Nachlass betraut.«

Eduard Behrend in seinem Lebenslauf, 1942

Die Verhandlungen mit der Akademie der Wissenschaften über den Arbeitsrahmen sind langwierig, aber ab 1927 arbeitet Berend im Auftrag der Akademie an der Edition und etabliert sich rasch als führender Experte der Jean Paul-Philologie.

»Dieser Aufgabe war von nun an meine ganze Kraft und Zeit gewidmet, und in 12 Jahren [habe ich] 21 starke Bände […] herausgebracht.«

Eduard Berend

Ausgrenzung und Entrechtung

Seine essenzielle Rolle für das groß angelegte Editionsunternehmen schützt Berend nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland 1933. Julius Petersen und die Akademie versuchen ihn zu halten und verteidigen ihn zunächst gegen die immer aggressiveren Versuche aus dem Zentrum der mit dem neuen Regime sympathi­sierenden und bald schon gleichgeschalteten Jean Paul-Gesellschaft. Petersen kann alle Beteiligten zunächst von der Notwendigkeit der philologischen Expertise Berends, seiner Erfahrung und unersetzbaren Vertrautheit mit dem riesigen handschriftlichen Nachlass überzeugen. Formal helfen Berend die Tatsache, dass er von der Akademie nur über einen Werkvertrag beschäftigt ist und nicht unter das sogenannte Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums fällt, sowie seine Verdienste im Ersten Weltkrieg. Und nicht zuletzt die Wahrung der Kontinuität der editionsphilologischen Arbeit und Kommentierung spricht für Berend. Doch 1935, nach Einführung der Nürnberger Rassegesetze, wird der Druck aus Bayreuth, ihn aus dem Projekt zu drängen, vehement. Petersen, der sich in seinen Reden und Schriften systemkonform zeigt, fürchtet im Falle eines offenen Festhaltens an dem jüdischen Gelehrten um seine eigene Stellung. Ab 1934 entfällt Berends Name als Herausgeber auf den Bänden der wesentlich von ihm erarbeiteten Edition und seine Mitarbeit wird nur noch im Kleingedruckten der Bände vermerkt.

Entlassung und Verhaftung

Da Berend als Privatgelehrter und Herausgeber in einem stark auf den Nachlass in Berlin angesiedelten Editionsprojekt auf die Finanzierung durch die Akademie angewiesen ist, kann er nicht ohne weiteres darauf hoffen – wie universitär etablierte Germanisten in diesen Jahren, die an den Universitäten in den Metropolen des Exils oder an der Universität in Jerusalem Anstellung finden – seine Arbeit an einem anderen Ort fortsetzen zu können. (Knickmann II) Nach fünf Jahren zäher wissen­schafts­politischer und ideologischer Auseinandersetzungen löst die Preußische Akademie der Wissenschaften 1938 das Arbeitsverhältnis mit Berend auf. Ein Vertrag soll die Weiterbeschäftigung bis zum Frühjahr 1939 ermöglichen. Doch am 10. November 1938, unmittelbar nach den Novemberpogromen, wird Berend verhaftet und in das Konzentrationslager Sachsenhausen verbracht.

Karte von Eduard Berend aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen an die Schwester Anna, im Bemühen um eine Auswanderung nach Amerika
Karte von Eduard Berend aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen an die Schwester Anna, im Bemühen um eine Auswanderung nach Amerika / © DLA Marbach

»Anfang November 1938 wurde mir von der Preussischen Akademie unter ehrender Anerkennung des Geleisteten mit Rücksicht auf die Rassegesetzte der Auftrag entzogen. Kurz darauf, am 10. November, wurde ich […] verhaftet und in das Konzentrationslager Sachsenhausen eingeliefert, aus dem ich am 7. Dezember entlassen wurde. Da mir eine Fortsetzung meiner wissenschaftlichen Arbeiten in Deutschland nicht mehr möglich war, betrieb ich meine Auswanderung.« 

Eduard Berend in seinem Lebenslauf, 1942

Die Einwilligung, Deutschland zeitnah zu verlassen, ist Bedingung für die Freilassung.

Emigration

Eine ›geregelte‹ Auswanderung ist jedoch 1938 bereits so gut wie unmöglich. Kaum ein Land ermöglicht noch eine Einreise ohne unerfüllbare Auflagen. Mehrere Versuche in diese Richtung – zur Einwanderung nach England, Uruguay und Australien – scheitern, darunter besonders die von dem Germanisten Heinrich Meyer forcierten Pläne einer Übersiedlung in die USA. Die Bemühungen Meyers, der im Übrigen eine deutschnationale Position vertritt und in vielen Briefen an Berend zu verstehen gibt, dass er diesen aufgrund seiner Verdienste um Jean Paul schätzt, zugleich aber nicht frei von antisemitischem Ressentiment ist, bringen Berend zumindest aber ein Affidavit ein, das einen vorübergehenden Aufenthalt in der Schweiz ermöglicht.

1939 in Berlin ausgestellter Ausweis von Eduard Berend
1939 in Berlin ausgestellter Ausweis von Eduard Berend / © DLA Marbach

Zwei seiner Geschwister, Anna und Franz, werden »nach dem Osten deportiert und aller Wahrscheinlichkeit nach vergast […], wenn sie nicht vorher freiwillig Schluss gemacht haben.« (Eduard Berend in einem Brief an Heinrich Meyer, 19.5.1946, DLA) Sie werden wahrscheinlich in Auschwitz umgebracht. Berends Bruder Fritz, ein Musiker, hat sich 1937 über Italien nach England retten können.

Die Emigration ist in diesen Jahren mit der Enteignung, dem Verlust des gesamten Vermögens verbunden, auch für Berend, dem es aber gelingt, zumindest den Großteil seiner Bücher und sein Arbeitsmaterial ins Exil zu retten. Er verbringt die Kriegsjahre zunächst bei Freunden, schließlich in einer kleinen, von Meyer mitfinanzierten Unterkunft in Genf, in der steten Ungewissheit, in der Schweiz nicht bleiben zu dürfen, ab 1941 aus Deutschland ausgebürgert und am Existenzminimum lebend. Rückblickend bemerkt Berend in einem Brief an einen Schulfreund wenige Jahre nach dem Krieg zu den Ereignissen von 1938:

»Was mich gerettet hat, war – so sonderbar geht es hienieden zu – die Tatsache, dass ich im November 38 einige Zeit ins KZ Sachsenhausen kam, und mit der freundlichen Mahnung entlassen wurde, schleunigst mein ›Vaterland‹ zu verlassen, widrigenfalls – Ohne diesen Zwischenfall hätte ich mich wohl kaum zur Auswanderung entschlossen und auch nicht in der Schweiz Aufnahme gefunden.« 

Eduard Berend an J. Frerking, 23.8.1947, DLA

 

Remigration

Obgleich Berend während des Kriegs einige Kontakte geknüpft hat (etwa zu Rudolf Pannwitz, Margarete Susman und Robert Boehringer), ist das Leben in Genf nach 1945 relativ einsam und bietet kaum Möglichkeiten, seine Arbeit zu Jean Paul fortzusetzen. Das Vorhaben, nach Deutschland zurückzukehren, konkretisiert sich denn auch aufgrund der Aussicht, dort weiter wissenschaftlich zu arbeiten. Persönliche Gründe gibt es nicht. 1947 wird Berend von der neu etablierten Deutschen Akademie der Wissenschaften in Berlin aufgefordert, die Herausgeberschaft für die noch ausstehenden Bände der Jean Paul-Ausgabe zu übernehmen. Berend unternimmt Reisen nach Berlin, um sich über den Nachkriegsalltag und den Zustand des Nachlasses von Jean Paul zu informieren, muss aber erkennen, dass eine Weiterführung der editorischen Arbeit nur noch schwer möglich ist.

Kriegs- und andere Verluste

Der Nachlass ist im Zuge der Auslagerung von Beständen der Staatsbibliothek während des Kriegs aus Berlin verbracht worden und seitdem verschollen, alle 1938 in Berlin zurückgelassenen Vorarbeiten für die Ausgabe sind verbrannt. Berend überzeugt die Akademie, zunächst einen von ihm im Exil erarbeiteten Briefband für die Ausgabe vorzuziehen. Er bleibt zunächst in der Schweiz, die ihm 1949 eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung zugestanden hatte. Als Berend den Briefe-Band fertiggestellt hat, wird das Auto, in dem das Manuskript aus der Schweiz zur Akademie transportiert werden sollte, in Leipzig gestohlen. In den Jahren nach 1949 erarbeitet Berend den Band ein zweites Mal.

›Heimstatt‹ Marbach

Der Kontakt zum Deutschen Literaturarchiv Marbach (DLA) festigt sich 1957, nachdem Berend Anfang der 50er-Jahre vergeblich versucht hat, mit der Bayreuther Jean Paul-Gesellschaft ein Abkommen zu treffen, das die Übergabe seiner Sammlungen an die Gesellschaft und eine Lebensrente für ihn vorsieht, die ihm eine Rückkehr nach Deutschland ermöglichen würde. Bernhard Zeller, der das aus dem Schiller Nationalmuseum hervorgegangene, 1955 neubegründete Deutsche Literaturarchiv leitet und das auf Schiller und die schwäbische Dichterschule fokussierte Sammlungsprofil des Hauses erweitern will, läd Berend ein, sich in Marbach niederzulassen. Die Idee dahinter ist es, mit Berends Sammlungen und seiner Expertise ein neues Zentrum für die Jean Paul-Forschung zu etablieren. Berend übereignet dem Trägerverein des DLA, der Deutschen Schillergesellschaft, seine Sammlungen – im Gegenzug finanziert diese den Umzug, stellt Berend ein Arbeitszimmer zur Verfügung und zahlt ihm eine monatliche Leibrente von 600 DM.

»Diese Bibliothek, wohl die schönste und vollständigste private Jean-Paul-Sammlung, enthielt sämtliche Originalausgaben und alle Gesamtausgaben des Dichters und umfaßte mit großer Dichte die ganze Literatur von und über Jean Paul. Dazu kamen eine größere Zahl von Autographen, viele Faksimila, rund 1000 Einzelaufsätze, Abhandlungen und Zeitungs­ausschnitte, 30 Mappen mit Abschriften aus dem Nachlaß Jean Pauls und ein Namens-, Sach- und Wortregister zu den bisher erschienen 25 Bänden der historisch-kritischen Gesamtausgabe in etwas 30.000 Zetteln.« 

Bernhard Zeller über Berends Jean Paul-Bibliothek

Eduard Berend mit Winfried Feifel im Schiller Nationalmuseum Marbach. Feifel unterstützte Berend in der Edition der Schriften Jean Pauls (o. J., um 1960), Foto: Uli Kaufmann
Eduard Berend mit Winfried Feifel im Schiller Nationalmuseum Marbach. Feifel unterstützte Berend in der Edition der Schriften Jean Pauls (o. J., um 1960), Foto: Uli Kaufmann

Fast 15 Jahre ist das Zimmer im Dachgeschoss seine Arbeitsstätte, an der er die Arbeit an der historisch-kritischen Gesamtausgabe fortsetzt und auch den gestohlenen Briefband rekonstruiert.

Das DLA und das Exil

BERNHARD ZELLER machte das DLA durch die Sammlung der Literatur des frühen 20. Jahrhunderts und durch seine Kontakte zu einem Ort, der in den folgenden Jahren immer wieder emigrierte Autorinnen und Autoren, Wissen­schaft­lerinnen und Wissenschaftler anzog. Neben Berend, HERBERT STEINER und KURT PINTHUS, die nach Marbach zogen, kamen regelmäßig Besuch aus Amerika und den europäischen Orten des Exils in das Archiv.

Nachdem der Nachlass Jean Pauls allerdings 1958 zurück an die Staatsbibliothek ging, blieb Marbach für die Jean Paul-Philologie stets zweit­rangig. Immerhin edierte Berend hier mit Mitarbeitern des Archivs bis 1964 noch mehrere Bände der historisch-kritischen Ausgabe.

»Berend setzte menschliche und wissenschaftliche Maßstäbe.«

Bernhard Zeller, Memorabilien

Späte Ehrungen

Berend wird 1957 auch die deutsche Staatsbürgerschaft wieder zuerkannt. Es folgen Ehrungen, die den vertriebenen Philologen spät rehabilitieren. Ebenfalls 1957 wird ihm eine Ehrenprofessur des Landes Baden-Württemberg und das Verdienstkreuz Erster Klasse der Bundesrepublik Deutschland zugesprochen; 1963 verleiht die Freie Universität Berlin ihm die Ehrendoktorwürde. Berends Bibliothek und seine Sammlungen, besonders die Bibliothek und die Abschriften des handschriftlichen Materials, werden zum Kern eines Jean Paul Archivs innerhalb des DLA. Heute ergänzt Berends persönlicher Nachlass, darunter die Korrespondenz mit Kollegen, Verwandten und Freunden, diesen Bestand. Allerdings hat Berend zweimal in seinem Leben, bei der Emigration und im Zuge der Remigration, sehr viele persönliche Papiere entsorgt, so dass sich einige private Lebensumstände des zurückgezogen lebenden Gelehrten kaum erschließen. Berend stirbt am 23. September 1973. Zeller würdigt den Verstorbenen in seiner Rede :

»Es gehört zu den besonderen Glücksfällen unseres Instituts, daß der Anfang des Deutschen Literaturarchivs mit dem Einzug Eduard Berends zusammenfällt, ja, daß die erste wirkliche Verwirklichung der Idee dieses neuen Instituts im Frühjahr 1957 durch die Einrichtung des Jean-Paul-Archivs und die Rückkehr seines Gründers aus dem Exilort erfolgte.«

Bernhard Zeller

Ausschnitt aus einer Würdigung Eduard Berends durch Bernhard Zeller, Deutsches Literaturarchiv Marbach 1983. Aufnahme: DLA Marbach. Mit freundlicher Genehmigung der Familie Zeller.
Ansicht der Bibliothek von Eduard Berend, die als Jean Paul-Archiv am DLA bewahrt wird
Ansicht der Bibliothek von Eduard Berend, die als Jean Paul-Archiv am DLA bewahrt wird / © DLA Marbach, Foto: Jens Tremmel

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Über das Porträt

Ein »Erinnerungsstück« vom
Deutschen Literaturarchiv Marbach
www.dla-marbach.de

Autorinnen: Dr. Madeleine Brook, Dr. Caroline Jessen, DLA

Gestaltung und redaktionelle Bearbeitung: Dr. Ulrike Horstenkamp, AsKI e. V.

Techn. Bearbeitung von Abbildungen, Audio- und Videodateien: Franz Fechner, AsKI e.V.

Quellenangaben

Das Deutsche Literaturarchiv Marbach
Das Deutsche Literaturarchiv Marbach (DLA) ist eine Literaturinstitution von internationalem Rang. Der Zugang steht allen offen, die ein Forschungsinteresse an Quellen deutscher Literatur- und Geistesgeschichte seit 1750 haben. Die Ursprünge des DLA reichen bis in das 19. Jahrhundert zurück. Handschriften, Bilder und Reliquien von Friedrich Schiller, Marbachs berühmtestem Sohn und Deutschlands populärstem Dichters im 19. Jahrhundert, stehen am Anfang der Sammeltätigkeit – zunächst in Schillers Geburtshaus, ab 1903 im Schillermuseum. Träger des Schillermuseums, das zugleich als Archiv dient, ist der 1895 gegründete Schwäbische Schillerverein, der 1947 in Deutsche Schillergesellschaft e.V. umbenannt wurde.

Die Nachkriegsjahre nach 1945 stellen einen wichtigen Wendepunkt auf der Marbacher Schillerhöhe dar. Im Schillerjahr 1955 gründeten Bernhard Zeller, der neue Museumsdirektor, und Wilhelm Hoffmann, der neue Präsident der Schillergesellschaft, das Deutsche Literaturarchiv. Bereits 1952 konnten die Bestände durch die Übergabe des Cotta-Archivs (Stiftung der Stuttgarter Zeitung) quantitativ und qualitativ beträchtlich erweitert werden. In diesen Jahren werden auch Mitarbeiter nach Marbach geholt, die durch die politischen und kriegerischen Ereignisse der 30er -und 40er-Jahre ins Exil getrieben worden waren, darunter Kurt Pinthus, Eduard Berend und Ludwig Greve. Sie prägen die Sammlungs- und Ausstellungsarbeiten des DLA in dieser frühen Phase der Neuausrichtung, ihre Werke und Sammlungen werden Teil des Sammlungsbestands. Der Anspruch, Zeugnisse verbrannter und verfemter deutschsprachiger Literatur zu sammeln, hat die Erwerbungs-, Ausstellungs- und Veranstaltungspolitik des DLA von Anfang an mitbestimmt, so gehört das DLA heute zu den wichtigsten Sammelstätten für Exilliteratur.

Aufgabe des DLA ist das Sammeln, Erschließen, Bewahren und Vermitteln deutschsprachiger Literatur von 1750 bis heute. Mit rund 1.400 Vor- und Nachlässen, Sammlungen von Schriftstellern und Gelehrten, Archiven literarischer Verlage und über 450.000 Bildzeugnissen gehört das Archiv inzwischen zu den führenden seiner Art. Die Bibliothek ist eine Spezial- und Forschungs­bibliothek für neuere deutsche Literatur und umfasst über 1,4 Millionen Medieneinheiten. Unter den Beständen befinden sich wichtige Autoren und Autorinnen mit jüdischer Herkunft, u.a. Paul Celan, Franz Kafka, Berthold Auerbach, Hilde Domin, Else Lasker-Schüler, Kurt Tucholsky, Stefan Zweig, Arthur Schnitzler, Claire Goll, außerdem bedeutende Gelehrte, Philosophen und Germanisten, z.B. Norbert Elias, Siegfried Kracauer, Theodor W. Adorno, Hannah Arendt und Hans Blumenberg.

Das Schiller-Nationalmuseum (SNM), wie es seit 1922 heißt, wird durch weitere Bauten auf dem Campus ergänzt. Seit 1973 bewahrt das heute denkmalgeschützte brutalistische Archivgebäude der Architekten Jörg und Elisabeth Kiefner die Bestände der Bibliothek und des Archivs des DLA und macht sie der Forschung zugänglich. 2006 wird das von David Chipperfield Architects entworfene und mehrfach ausgezeichnete Literaturmuseum der Moderne (LiMo) eröffnet und erweitert seitdem die Ausstellungsfläche des Schiller-Nationalmuseums.

Gemeinsam mit anderen Institutionen und Universitäten führt das DLA internationale Forschungsprojekte durch. Das Collegienhaus dient als Wohn- und Begegnungsstätte für forschende Gäste aus dem In- und Ausland. In den beiden Museen sind Besucherinnen und Besucher eingeladen, in der Auseinandersetzung mit Manuskripten, Briefen, Fotos und Erinnerungsstücken in einen eigenen kreativen Prozess lesend und schreibend einzutreten. Digitale Vermittlung spielt dabei zunehmend eine wichtige Rolle. Dauerausstellungen zu Schiller und zur Literatur des 19. Jahrhunderts und zur Literatur von 1899 bis heute werden regelmäßig durch Wechselausstellung ergänzt. Ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm ermöglicht ästhetische Erfahrungsprozesse und die Reflexion im Umgang mit Sprache und Weltliteratur.