»Jeglicher Dilettantismus ist ein Unheil für die Zeitung, wie für den Leser.
Julius Ferdinand Wollf , 1871 in Koblenz geboren, wuchs in einer strenggläubigen jüdischen Familie auf. 1903 kam er nach Dresden und lenkte 30 Jahre lang die Geschicke der Dresdner Neuesten Nachrichten, der größten Zeitung Sachsens. Er mischte sich aktiv in die Belange der Stadtgesellschaft ein, und sein Netzwerk von Freunden und Bekannten aus Politik, Wirtschaft, Kunst und Kultur liest sich wie das »Who is who?« der 1920er-Jahre. Er steigt zum Vizechef der deutschen Verlegerschaft auf und wird gemeinsam mit dem Odol-Fabrikanten Karl-August Lingner zum wichtigen Kämpfer für die Idee eines Deutschen Hygiene-Museums, das 1930 in Dresden Realität wird. Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten wurde er als Jude aus der Leitung der DNN und seinen zahlreichen öffentlichen Ämtern entfernt. Am 27. Februar 1942, dem Tag seiner geplanten Deportation, nahm sich Julius Ferdinand Wollf gemeinsam mit seiner Frau das Leben.
»Wißt ihr denn, wie man Zeitung macht?
Jede Nummer ist eine Schlacht!
Gründlich bleiben trotz rasender Eile.
Sprachkünstler sein mit Stichel und Feile.«
Wollf wird 1871 in Koblenz in eine streng jüdisch gläubige Familie hineingeboren. Sein Großvater Martin Wollf ist Kantor der jüdischen Gemeinde. Als Erwachsener – wahrscheinlich um die Jahrhundertwende, während seiner Jahre als Theaterdramaturg und Journalist in München – konvertiert Julius Ferdinand Wollf allerdings zum Christentum. Vielleicht auch, weil es auch zu dieser Zeit für eine Karriere in Deutschland noch immer erfolgversprechender ist? Und doch wird er auch in Dresden immer wieder mit seiner Herkunft, mit dem jüdischen Glauben seiner Familie konfrontiert werden …
Jude oder Christ? Ein Thema, das für Lingner keine Rolle spielt. Doch, um es vorweg zu nehmen: Für die Nationalsozialisten schon, die Anfang 1933 endgültig an die Macht kommen. Für sie bleibt Wollf Jude. Und auch in der Kulturstadt Dresden wird kurz darauf begonnen, Juden nach und nach aus dem Bild sowie systematisch auch aus dem Gedächtnis der Stadt zu drängen. Neben den Menschen sollen vor allem ihre Biografien sterben, so der perfide Plan. Auch Wollf wird dieses Schicksal treffen.
Doch zunächst zurück ins Dresden des Jahres 1905. Vor gut zwei Jahren war Julius Ferdinand Wollf aus München an die Elbe gekommen. In der bayerischen Hauptstadt war er zunächst Dramaturg am Hoftheater, wechselte 1899 in die Redaktion der Münchner Zeitung. Im August 1903 wird Wollf von Herausgeber August Huck als neuer Chef zu den Neuesten Nachrichten nach Dresden geschickt, die ebenfalls Huck gehören. Wollf – er studierte Philosophie, Geschichte, Volkswirtschaft, Kunst- und Literaturgeschichte – ist dabei ausgewiesener Wirtschafts- und Theaterexperte, aber vor allem eines: Herzblut-Journalist. Er öffnet seine Zeitung zahllosen klugen Köpfen. Hier werden in den kommenden 30 Jahren die wirklich bekannten Namen der deutschsprachigen Literaturszene schreiben. Auch namhafte Politiker kommen zu Wort, wie Wollfs Duzfreund Gustav Stresemann. Wollf macht sich mit den Jahren deutschlandweit auch einen Namen als fundiert kritischer Theaterrezensent. Er kritisiert, um das Theater voranzubringen. Und hinterlässt dabei am Dresdner Hoftheater, dem späteren Staatsschauspiel, deutliche Spuren: Er nimmt aufgrund enger Kontakte nicht nur Einfluss auf den Spielplan, sondern auch auf personelle Entscheidungen. So verschafft er 1916 seinem Vetter Dr. Karl Wollf den Posten des Chefdramaturgen.1
»Ich glaube an die Zukunft des deutschen Theaters und daß es ein Bollwerk ist gegen den öden Materialismus eines allzu geschäftig, allzu geschäftlich gewordenen Lebens.«
Wollf avanciert zunehmend von Dresden aus zum ernstzunehmenden Strippenzieher in der deutschen Literatur- und Kunstszene. Er steigt im Deutschen Verlegerverein zum Vizechef auf, wird mit der Politik über die Belange der Presse im Ersten Weltkrieg verhandeln und versuchen, die Verlage vor den wirtschaftlichen Problemen durch den Versailler Vertrag zu schützen. Und er wird wie erwähnt enge Freundschaften zu namhaften Literaten knüpfen, wie zu Literatur-Nobelpreisträger Gerhart Hauptmann. Der legendäre Verleger Samuel Fischer – Gründer des noch heute erfolgreichen S. Fischer-Verlags – ist ebenso enger Freund, wie Felix Salten; unter anderem Autor des bekannten Buches »Bambi«. Wollfs Bekannten- und Freundeskreis liest sich längst wie das »Who is who?« der 1920er-Jahre.
Die Zeit um das Jahr 1900 war geprägt durch technische Erfindungen, mit denen große Industriezweige wuchsen und die Wirtschaft insgesamt umgewälzt wurde. Die modernen Städte wurden Metropolen, in denen die Fabriken immer mehr Arbeitskräfte benötigten. Die Menschen lebten dicht gedrängt in ärmlichsten und unhygienischen Verhältnissen, in denen Viren und Bakterien ein leichtes Spiel hatten. Krankheiten wie Tuberkulose oder Cholera waren an der Tagesordnung.
Der Erste Weltkriegs und nicht zuletzt die Jahre danach verschärften dieses Dilemma. Die Wirtschaft lag am Boden, die Lebensbedingungen in den Mietskasernen waren katastrophal. Nicht das Wissen um die Krankheitserreger selbst war das Problem, sondern die fehlende Aufklärung der Bevölkerung darüber, dass Vorsorge eine wichtige Waffe im Krieg gegen die Erreger ist. Julius Ferdinand Wollf hatte diesen Zusammenhang erkannt und öffnete nicht nur die »Dresdner Neuesten Nachrichten« für diese Ideen, sondern engagierte sich auch für eine Einrichtung wie das Deutsche Hygiene-Museum.
Wollf bläst mit seinem Blatt kräftig frischen Gedankenwind ins verstaubte Dresden. Nicht zuletzt beim Thema Medizin, was ihn für den Odol-Fabrikanten Karl August Lingner wichtig macht. Wollf ist wie er überzeugt, dass Menschen Krankheiten nicht hilf- oder kampflos ausgeliefert sind. Aufklärung über Ursachen, Vorsorge und moderne Behandlungen sind für ihn wichtige Faktoren. Und Wollf hat zudem einen Hauptfeind in den Redaktionen ausgemacht: den Dilettantismus. So ist er nicht grundlos Vorkämpfer der universitären Ausbildung von Journalisten, gründet 1927 in Heidelberg den entsprechenden Ausbildungsgang mit.2 Nicht jeder, der einen Bleistift halten könne, sei auch Journalist, schimpft er. Wobei er bei medizinischen Themen nur Leute vom Fach schreiben lässt. Sein Credo:
»Nur der erprobte ärztliche Mitarbeiter, die als streng zuverlässig bekannte Korrespondenz sollen über Gesundheitspflege und Krankheitsbekämpfung in der Presse zu Wort kommen. Niemand darf mit Hoffnungen freventliches Spiel treiben!« 3
Diese für Dresden – aber nicht zuletzt auch für die Idee des Deutschen Hygiene-Museums – so wichtige Freundschaft ist wohl vor allem der Hartnäckigkeit Karl-August Lingners zu verdanken. Lingner, der sozial Engagierte und durch die Produktion des Odol-Mundwassers zu prall gefüllten Konten Gekommene, hatte sich dem Kampf gegen Krankheiten und Seuchen verschrieben. So unterstützt er das Desinfektionswesen in Dresden und auch die erste Säuglingsklinik der Welt wird hier mit Lingners Geld finanziert. Und ihm war klar, dass es in diesem Kampf vor allem eines braucht: umfassende Aufklärung.
Genau dafür will Lingner unbedingt den jungen Chefredakteur und Herausgeber der »Dresdner Neuesten Nachrichten« Julius Ferdinand Wollf ins Boot holen. So kämpft er ganz besonders um das Jahr 1905 herum um dessen Gunst – immerhin war das Blatt nicht nur die wichtigste Dresdner Zeitung, sondern mit rund 120.000 Exemplaren auch überregional beachtet. Doch Wollf bleibt Lingner gegenüber erstaunlich kühl. Er hatte sich hinreißen lassen, räumt er später ein, all den Vorurteilen zu folgen, die damals wie eine Mauer um Lingner aufgetürmt werden.
Dresden neidet Lingner den wirtschaftlichen Aufstieg. Dass er sich kein eigenes Bild gemalt hatte, grämt Wollf noch Jahrzehnte später. So wird er sich diese Last dann 1930 in einem sehr persönlichen Buch über Lingner von der Seele schreiben. Und darin schildert Wollf auch, dass Lingner nicht lockerließ – woraus letztlich eine enge Männerfreundschaft wird.
Nach dem frühem Tod Lingners 1916 wird Wollf einer der Testamentsvollstrecker. Wobei er sich nicht in erster Linie um das finanzielle Erbe seines Freundes kümmert, sondern vor allem um dessen Idee, einen Ort der medizinischen Aufklärung zu schaffen. Wollf wird einer der wichtigsten Streiter für das nicht unumstrittene Projekt Hygiene-Museum: mit seiner Zeitung, als prominenter Verleger und seinen Kontakten in Hinter- und vor allem Vorderzimmer der Politik. Nicht zuletzt nutzt er den von ihm im November 1928 in Dresden mitgegründeten Rotary-Club als wichtige Netzwerkstatt für die Unterstützung der Museums-Idee.
Und Wollf ist frühzeitig Mitglied im Vorstand der »Zweiten Internationalen Hygiene-Ausstellung«, mit der 1930 das Hygiene-Museum eröffnet wird. Auch inhaltlich mischt Wollf sich ein. So regt er eine Ausstellung über Gefäß- und Herzkrankheiten an und entwirft ein »Krebs-Theater«. Eine kleine Drehbühne, auf der im Ausstellungsbereich Aberglaube und Gesundheit in fünf Szenen das gefährliche Vertrauen in »Wunderheiler« thematisiert wird. Die wissenschaftliche Arbeitsgruppe ›Aberglaube‹ steht sogar unter gemeinsamer Leitung von Wollf und Dr. Otto Neustädter, langjähriger Direktor der historisch-ethnologischen Abteilung des Museums.4
»Sie von der Verwaltung des Museums haben uns in Professor Julius Ferdinand Wollf und vielen anderen ungeheuer wichtige Stützen geliefert, auf denen der Bau der Ausstellung ruht!«
Wollfs DNN sind 1921 die erste deutsche Tageszeitung, die mit den Seiten »Natur und Gesundheit« wöchentlich eine medizinische Beilage herausbringt. Und neben seiner Arbeit im Vorstand ist Wollf auch Mitglied des Senats des Museums. 1930 arbeitet er zusätzlich im Präsidium der »Zweiten Internationalen Hygiene-Ausstellung« mit. Ohne Wollfs Rolle für das Museum zu überhöhen: Er ist einer von vielen, aber dennoch einer der festesten Steine im Fundament!
»Das Leben, das wir führen, zermürbt langsam, aber fühlbar auch den Körper. Mein Passionsweg …«
Nur drei Jahre später – im Mai 1933 - wird Wollf aus dem Museum gedrängt. Freiwillig, wie anschließend höhnisch im Protokoll der Sitzung zu lesen ist. Freiwillig? Es ist vielmehr Wollfs Herkunft aus einer jüdischen Familie. Denn Juden werden nun mithilfe extra erlassener Gesetze und Verordnungen aus allen öffentlichen Ämtern, der Kultur und nicht zuletzt den Medien gedrängt. Auch die »Dresdner Neuesten Nachrichten« entlassen Wollf.
»Gestern jämmerliche Erklärung der ›Dresdner NN‹ ›in eigener Sache‹‚ ›Sie seien zu 92,5 Prozent auf arisches Kapital gestützt, Herr Wollf, Besitzer der übrigen 7,5 Prozent, lege Chefredaktion nieder …‹«
Victor Klemperer, Tagebuch, 30. März 1933
Wird sein Fehlen bemerkt? Im Hygiene-Museum? In Dresden? Offiziell will Dresden dieses Fehlen jedenfalls nicht bemerken. Ja, es ist auch die Angst, die mit den Nationalsozialisten nun an der Elbe regiert. Dennoch gibt es kaum Versuche, zumindest heimliche Signale zu senden. Selbst Prominente wie der erwähnte Literatur-Nobelpreisträger Hauptmann lassen ihn plötzlich fallen. Wollf nennt all das »seinen Passionsweg«.
»Es ist der freie Glaube an das Vaterland, der allein selig macht. An das ‚Deutschland über alles‘ nicht im Sinne der Ländereroberung und Völkerunterdrückung wie man’s verketzert und fälscht. An das Vaterland, das uns über allem steht in der Welt!«
Hat sich Wollf in diesen düsteren Jahren vielleicht auch gefragt, ob er den braunen Menschenfängern mit seinen DNN gedanklich gefährlich nahegekommen war? Hatte sein Blatt schon seit den politisch wilden 1920er-Jahren mit so manchem Text, so mancher Kampagne geistige Steigbügelhalter-Dienste für Hitlers Mörderregime geleistet? Ja, Wollfs Wirtschaftsnationalismus, sein Hang zum Nationalliberalen und seine Abscheu gegen den Bolschewismus waren den Lesern sicher nicht verborgen geblieben. Wie auch seine Kritik an den wirtschaftlichen Auswirkungen des Versailler Vertrags. Doch nein, ein nationalistischer oder gar rassistischer Brandstifter allerdings war er nie!
»Wir haben so sehr gelitten, daß wir nicht mehr weiterleben wollen!«
Wollf ist schwer krank, er wird sein Augenlicht verlieren. Doch Arztbesuche werden ihm – als Juden – mehr und mehr verwehrt. Und nach der Würde wird ihm auch die wirtschaftliche Sicherheit genommen: Seine Konten werden eingezogen, seine Villa wird zum »Judenhaus«, fremde Menschen – durch die sogenannten Rassegesetze Entrechtete – werden zwangsweise einquartiert. Und am 20. Januar 1942 beginnen die Deportationen der Dresdner Juden in die Vernichtungslager. 244 Dresdner Juden werden mit diesem ersten Transport ins Lager Riga gebracht.
Auch Wollfs Bruder Max, den er 1905 als Prokuristen in den Verlag geholt hatte, sollte dazu gehören. Er erhängt sich in der Nacht zuvor. Am 24. Februar 1942 ergänzen die Wollfs noch einmal ihr Testament: »Wir haben so sehr gelitten, daß wir nicht mehr weiterleben wollen.« Nacht für Nacht kommen brutale Schläger: »Wenn ihr morgen noch lebt, bringen wir Euch um«, grölen sie am 26. Februar 1942 den Wollfs ins Gesicht. Am nächsten Tag nehmen beide Gift. Er ist sofort tot, Johanna Wollf quält sich noch eine nicht enden wollende Nacht lang.5
Wollf ist in Dresden bis heute nahezu vergessen. Es scheint also, als hätten die Nationalsozialisten ihr Ziel erreicht.
Einige wenige gibt es aber doch, die versuchen, Julius Ferdinand Wollf aus diesem Vergessen zu reißen. So liegen seit 2017 zwei Stolpersteine für die Wollfs dort, wo ihre Villa in Dresden stand. Und im Frühjahr 2019 ist ein fast 600 Seiten starkes Buch über Wollf erschienen, mit einem Vorwort des Direktors des Hygiene-Museums Professor Klaus Vogel. Der Dresdner Verleger Alexander Atanassow vom Kunstblatt-Verlag hat es sich zur Aufgabe gemacht, »Vergessene« zurück ins Bewusstsein der Stadt zu holen und dieses Buch herausgebracht. Am Kunstgewerbemuseum der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden schließlich arbeitet die Provenienzforscherin Dr. Barbara Bechter daran, die kostbare verschwundene Kunstsammlung des Ehepaars Wollf zu rekonstruieren.
Am 8. August 1942 wird in den Bestand des Kunstgewerbemuseums Dresden eine hochkarätige Sammlung europäischer und ostasiatischer Kunstwerke übernommen. Laut Inventarbuch 516, Bl. 406-408 stammt sie »aus dem Nachlaß des Juden Israel Wollf, Dresden, Franz-Liszt-Str. 6«. Bei diesem »Israel Wollf« handelt es sich um Julius Ferdinand Wollf.
Zahlreiche Archivalien, die Hinweise zur Sammlung des Ehepaares Wollf geben könnten, sind in Dresden als Kriegsverlust verzeichnet − darunter die Akten zur Vermögensbeschlagnahme, zum Vermögenseinzug, der Geheimen Staatspolizei und die Testamentsakte im Sächsischen Staatsarchiv. Zum Testamentsvollstrecker wurde vom Ehepaar Wollf der Rechtsanwalt Dr. Gerhard Poege bestimmt. Die in seiner Dresdner Kanzlei in der Ferdinandstr. 11 aufbewahrten Dokumente und Schriftstücke sind im Februar 1945 verbrannt. Einzig in der im Sächsischen Staatsarchiv Dresden erhaltenen Erbscheinakte gibt es einige Hinweise auf die Kunstschätze. Rückfragen bei Provenienzforschern sämtlicher großen Museumsverbünde und Archive in Deutschland und den USA erbrachten zwar einige knappe Personenhinweise, aber keinerlei Informationen zur Kunstsammlung. Trotz intensiver Recherche konnten bisher auch keine Innenaufnahmen der von den Wollfs bewohnten Villa in der Franz-Liszt-Str. 6 gefunden werden.
Daher kann derzeit nur anhand der Unterlagen im Sächsischen Staatsarchiv und im Kunstgewerbemuseum Dresden, durch Ausstellungskataloge und Bemerkungen von Freunden und Bekannten der Wollfs der Versuch unternommen werden, die Kunstsammlung des Ehepaares wenigstens ansatzweise zu rekonstruieren.
Eine der wichtigsten Quellen für die Rekonstruktion der Sammlung stellt die Beschreibung der kostbaren Einrichtung der Wollf'schen Villa an der Südseite des Großen Gartens dar, die Emmy Mrazek, eine eng Freundin und Ehefrau des Chefdirigenten der Dresdener Philharmonie, 1956 aus dem Gedächtlis zu Protokoll gab.
»Das Haus von Julius Wollf war wohl mit das wertvollste Haus in Dresden; man kann sagen, dass jedes einzelne Stück einen bedeutenden Wert darstellte. Es waren wohl nur Kunstschätze in diesem Haus. Zu den mobilen Werten gehörte eine Sammlung von Ostasiatica, die in den Jahren 1926 und folgende mit großem Bedacht gesammelt worden waren und dazu gehörten Schnitzereien, Intarsien, Bronzen.
Ich erinnere mich gut, dass der Käufer Almeyer das Haus mit teilweisem Inhalt so gut wie geschenkt erhielt. Das Haus war viel mehr wert, ein Zehnfaches von 60000 Mark.
Als das Gesetz die Ablieferung von Schmuck, Silber und anderen wertvollen Gegenständen befahl, also ziemlich lange bevor Herr und Frau Wollf sich das Leben nahmen, wurden durch Herrn Wollf zwei Möbelwagen voll wertvollstes Inventar zwangsweise in ein öffentliches Lager abgeliefert. Das Haus war wohl das Pfandhaus am Neustädter Markt und Herr Wollf erfüllte die gesetzliche Vorschrift bis zur letzten Konsequenz.
Dazu gehörten teure Teppiche, auserlesene Decken, Möbelstücke mit Sammlerwert, viel Schmuck, ein Renoir und vieles Anderes. Auch einen Kokoschka (Elbebrücken) besaß er, möglicherweise ein [sic] Cézanne und andere wertvolle Bilder, u.a. von Wrba, Madonnen und andere Figuren. Das Porzellan und reichlichst Silber, ein Blütner-Flügel [sic], Sammlerstücke von herrlichen Uhren und alles, was zu einem vollständigen, großen und kultivierten Haushalt gehört, vielen [sic] ebenso wie alles andere den Nazis zum Opfer. Herr Wollf besaß außerdem eine ganz hervorragende Bibliothek mit vielen bibliophilen Werken; es gab keine wertvolle Neuerscheinung, die Herr Wollf nicht beschafft hätte. Herr Wollf war geistig universell interessiert und so war seine Bibliothek; diese war in Dresden berühmt, es müssen Tausende von Bänden gewesen sein. Es ist nicht zweifelhaft, dass diese Werte mehrere hunderttausend Mark repräsentierten. [...] Es fallen mir auch zahlreiche Originalradierungen (in Mappen) ein, die Herr Wollf besass. [...]
Hieraus ist ersichtlich, dass es sich um den Besitz eines höchst kultivierten und reich zusammengestellten Hauses handelte. Herr Wollf hatte sich von klein auf emporgearbeitet. Ich war eng befreundet mit Wollfs und verkehrte dauernd bei ihnen. Obzwar ich als Nichtjüdin ihnen gerne geholfen hätte, hat Herr Wollf es immer abgelehnt, Hilfe in Anspruch zu nehmen oder das Mindeste zu Tun, was nicht legal gewesen wäre. Obiges bestätige ich nach bester Erinnerung und mit bestem Gewissen.«
Die hier ausgeführten Gemälde von Kokoschka, Renoir und evt. Cézanne könnte das Ehepaar Wollf, ebenso wie zwei weitere, 1929 aus ihrer Sammlung für eine Ausstellung des Sächsischen Kunstvereins verliehenden Werke der Künstler Oskar Moll und Jules Pascin, bei seinen häufigen Besuchen in Berlin in einer dortigen Galerie erworben haben oder in den Auktionen der Dresdner Galerie Ernst Arnold. Dort kamen Bilder all dieser Maler zwischen 1903 und 1932 häufig zur Versteigerung.
Zusätzliche Kunstwerke werden im Testament des Ehepaars genannt: Eine Faunplastik und eine gotische Verkündigungsgruppe, zwei Kruzifixe (schwarzsilbern und Elfenbein in Goldrahmen), ein gelb-intarsierter Schreibsekretär, Wiener Arbeit, und ein Schreibsekretär aus Kirschbaum, zwei Perserteppiche und eine Uhr auf dem Schreibsekretär, je eine Zeichnung von Sascha Schneider (Illustration zu Karl May) und Otto Schubert (Porträt des Grafen Niki von Seebach) sowie als Schmuck mehrere Manschettenknöpfe mit Halbedelsteinen und eine silberne Taschenuhr mit Kette und Anhänger. Diverse Möbel, Bilder und wertvolle Teppiche der Wollfs, die sich »in Folge der uns auferlegten Zwangseinquartierung« in der Wohnung der Haushälterin Hulda Grille befanden, sollten dieser überlassen werden.
Der Verbleib der Kunstsammlung des Ehepaars Wollf lässt sich nur für die Objekte, die 1942 durch das Kunstgewerbemuseum Dresden inventarisiert worden waren, belegen. Diese wurden im August und Dezember 1943 zusammen mit den Objekten des Kunstgewerbemuseums nach Schloss Frauenstein, auf die Festung Königstein und nach Schloss Reichstädt ausgelagert, in letzterem unter der Kistennr. SW/111 [Sammlung Wollf und lfd. Kistennummer].
Von den unter den Inventarnummern 36222 bis 36263 inventarisierten 48 Objekten der Möbel-, Glas- und Ostasiaticasammlung des Ehepaars Wollf gelten 14 als Kriegsverlust. Diese heute fehlenden Objekte sind fast alle in Schloss Reichstädt und in Schloss Frauenstein in den Nachkriegswirren verloren gegangen. Eine auf der Festung Königstein eingelagerte Kommode wurde wohl von der Roten Armee abtransportiert.
Von all den im Protokoll von Emmy Mrazek und im Testament der Wollfs aufgeführten Gemälden, Graphiken, Teppichen, Skulpturen und prächtigen Möbeln sowie dem wertvollen Schmuck, dem Flügel und den Büchern ist einzig der Verbleib eines Gemäldes von Jules Pascin bekannt, das Hildebrand Gurlitt unter Wert für 600 Reichsmarkt 1935 von Julius Ferdinand Wollf übernahm. Das Bild wurde 1945 von den Monuments Men in Schloss Aschbach / Oberfranken entdeckt und befindet sich heute in Privatbesitz in Chicago. Die Gemälde von Moll, Kokoschka, Renoir und möglicherweise ein Cézanne könnten zu der den Geschwistern des Ehepaars zugedachten Erbmasse gehört haben. In dem Nachtrag zum Testament von 1941 wird erwähnt, dass sich der ursprünglich als Testamentsvollstrecker bestimmte Bruder Max Wollf »unter unseren Bildern aussuchen kann, was ihm als liebstes Andenken gelten wird«. Das Ehepaar dringt dort auch darauf, dass »unsere antiken Möbel, Kunstgegenstände und Teppiche … nach ihrem wirklichen Wert … unter Hinzuziehung eines unbedingt zuverlässigen Sachverständigen« verwertet werden sollen, d.h. sie waren zu diesem Zeitpunkt wohl noch vorhanden. Da die beiden Sammler bis Januar 1942 über ausreichend finanzielle Mittel verfügten, erscheint es unwahrscheinlich, dass sie ihre Bilder aus einer finanziellen Notsituation abgegeben hätten. Die Geschichte des Gemäldes von Pascin lässt allerdings vermuten, dass sie vielleicht schon Mitte der 1930er-Jahre zu einem Verkauf dieses oder mehrerer Bilder gezwungen wurden.
Die Beschlagnahme des Vermögens der Eheleute Wollf durch die Geheime Staatspolizei Dresden erfolgte am 19. Januar 1942. Von diesem Tag an hatte das Ehepaar Wollf keinerlei Verfügungsgewalt mehr über sein Vermögen. In mehreren Quellen werden die grauenhaften Hausdurchsuchungen und Misshandlungen des Ehepaares in dieser Zeit geschildert, so von Karl Laux, dem Musikredakteur der Dresdner Neuesten Nachrichten:
»Dem alten, ungewöhnlich gebildeten Mann haben die Nazis dann schwer mitgespielt. Wir erfuhren es später von der Haushälterin der Wollfs. 1942 kamen die SS-Leute jeden Abend ins Haus und schrien: ›Na, Ihr Schweine, lebt Ihr noch immer?‹ Dann schmissen sie seine so sehr geliebte Antiquitätensammlung an die Wand und bombardierten ihn mit seinem Meißner Porzellan.«
Der Nachlass der Wollfs wurde zum 28.2.1942 auf über 200.000 Reichsmark veranschlagt, davon die Villa mit 58.500,- RM, die Wertpapiere mit 99.500,- RM, das Bankguthaben mit 8.000,- RM und das »sonstige bewegliche Vermögen« − darunter wohl die erhaltenen Kunstschätze – mit 36.000 RM.
Durch Vermittlung der Gestapo erwarb der Kammersänger Mathieu Ahlersmeyer aus Köln die Villa mit einem Teil der Einrichtung für 66.000 RM. Das übrige Vermögen und die Bankkonten des Ehepaars Wollf wurden auf Anordnung des sächsischen Innenministers vom 8.12.1942 zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen. Da schon im August 1942 Möbel, Gläser und Ostasiatica an das Kunstgewerbemuseum abgegeben worden waren und in allen anderen Dresdner Sammlungen kein Zugang von weiteren Kunstwerken oder Gemälden der genannten Maler in dieser Zeit nachweisbar ist, kann nur vermutet werden, dass zumindest ein Teil davon verkauft wurde und sich bisher unerkannt in Museen oder privater Hand befindet.
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Ein »Erinnerungsstück« von
Deutsches Hygiene Museum Dresden
www.dhmd.de
Autor: Jens Fritzsche, Autor und Journalist, Dresden
Exkurs »Die verschwundene Kunstsammlung der Wollfs«: Dr. Barbara Bechter, Provenienzforscherin Kunstgewerbemuseum und Porzellansammlung, Staatliche Kunstsammlungen Dresden
Gestaltung und redaktionelle Bearbeitung: Dr. Ulrike Horstenkamp und Dr. Jessica Popp (Exkurs), AsKI e.V.
Techn. Bearbeitung von Abbildungen, Audio- und Videodateien: Franz Fechner, AsKI e.V.
Wir bedanken uns beim Kunstgewerbemuseum − Staatliche Kunstsammlungen Dresden für die Beteiligung an TSURIKRUFN! mit einem Exkurs zu der veschwundenen Kunstsammlung des Ehepaar Wollf.
Deutsches Hygiene Museum Dresden
Das 1912 von dem Odol-Fabrikanten Karl August Lingner (1861–1916) als Gesundheitsmuseum gegründete Haus versteht sich heute als ein interdisziplinäres »Museum vom Menschen«. Es ist ein wichtiger Ort für die Dresdner Stadtgesellschaft, an dem über aktuelle Themen aus Wissenschaft und Kunst, Kultur und Gesellschaft debattiert wird. Mit seinem vielfältigen Ausstellungsprogramm ist es aber auch ein beliebtes Ziel für Gäste aus ganz Deutschland und aller Welt.
Die populärwissenschaftliche Dauerausstellung ist dem »Abenteuer Mensch« gewidmet, das mit klassischen Exponaten, Medien und interaktiven Stationen auf einem abwechslungsreichen Parcours in Szene gesetzt ist. Für die jüngsten Besucher bietet das Kinder-Museum einen erlebnisorientierten Einblick in die »Welt der Sinne«.
Die Dauerausstellung präsentiert zahlreiche Objekte aus der umfangreichen Sammlung des Museums, wie z. B. den »Gläsernen Menschen«, wertvolle Wachsmoulagen, anatomische Modelle und Präparate, internationale AIDS-Plakat-Kunst oder körper- und kulturhistorische Exponate aus unterschiedlichen Sammlungsbereichen.
Die großen Sonderausstellungen beschäftigen sich mit einem breiten Spektrum von aktuellen und historischen Fragestellungen – von Glück und Leidenschaft über Sex, Tod, Sport und Tanz bis hin zu Klima, Sprache oder Scham. Mit ihren kuratorischen Konzepten und neuartigen Szenografien stoßen sie auf großes Interesse nicht nur beim allgemeinen Publikum, sondern auch in der Museums- und Medienszene.
In Verantwortung für seine historische Rolle im 20. Jahrhundert, insbesondere als Propagandaeinrichtung der nationalsozialistischen Rassepolitik, beschäftigt sich das Museum immer wieder auch mit Persönlichkeiten der eigenen Institutionsgeschichte.