Ludwig Philippson
1811–1889

Rabbiner, Verleger, Politiker

»

Ein Recht und Ein Gesetz soll Allen sein.

Ludwig Philippson

Ludwig Philippson war ein Rabbiner und Schriftsteller. Mit seinen humanitären und liberalen Ideen trat er für die Rechte der Juden ein und trug maßgeblich zu deren rechtlichen Stellung in Preußen bei. Zu seinen bedeutend­sten Werken gehört die Über­­setzung der Hebräischen Bibel und die Gründung der Israelitischen Bibelanstalt 1859. Philippson war Herausgeber der Allgemeinen Zeitung des Judentums, welche als Sprachrohr der jüdischen Reform­bewegung galt. Als 15-Jähriger war Philippson als erster jüdischer Schüler an der berühmten Latein-Schule der Franckeschen Stiftungen zugelassen worden.

Schulbesuche

Ludwig Philippson wird am 28. Dezember 1811 in Dessau geboren. Sein Vater, Moses Philippson (1775–1814), ist ein bekannter jüdischer Aufklärer und Lehrer an der Dessauer Franz-Schule, Gründer einer hebräischen Buchdruckerei und Buchhandlung, Verleger und Autor. Nach dem frühen Tod Moses Philippsons übernehmen Familienmitglieder die Sorge um die Ausbildung seiner Kinder. Von 1815 bis 1824 besucht Ludwig Philippson die Franz-Schule für hebräische und deutsche Sprache in Dessau, eine vom Fürsten Leopold III. Friedrich Franz (1740–1817) für die örtliche jüdische Gemeinde eingerichtete moderne Erziehungsanstalt.

Unter dem Einfluss seines älteren Bruders Phöbus Moses Philippson (1807–1870), der in Halle Medizin studiert, wechselt er 1826 an die Saalestadt, um seine Ausbildung an der lateinischen Hauptschule der Franckeschen Stiftungen fortzusetzen. Da er Jude ist, wird die Aufnahme zunächst vom Rektor der Schule Johann Gottlieb Diek (1762–1833) abgelehnt. Zwar konnten bereits im 18. Jahrhundert Schüler jüdischer Herkunft die Stiftungs­schulen besuchen, allerdings waren deren Eltern zumeist zum christlichen Glauben konvertiert. In Begleitung seines Bruders wird Philippson beim damaligen Direktor der Franckeschen Stiftungen, dem bekannten Theologen und Pädagogen August Hermann Niemeyer (1754–1828), vorstellig, der ihre Beschwerde sofort akzeptiert und die Zulassung veranlasst.

August Hermann Niemeyer
August Hermann Niemeyer / © Franckesche Stiftungen

In seiner »Allgemeinen Zeitung des Judentums« veröffentlicht Philippson besonders in seinen letzten Lebens­jahren auto­biografische Texte. Darunter befinden sich auch die Erinnerungen »Aus meiner Knabenzeit«, die 1887 bis 1888 erschienen sind. Sie enthalten eine anschauliche Darstellung seiner Aufnahme in die Franckeschen Stiftungen, seiner Zeit an der dortigen Lateinischen Haupt­schule und seines Eindrucks der Stadt Halle in den 20er-Jahren des 19. Jahrhunderts. Diese Aufzeich­nungen sind im Folgenden auszugsweise wiedergegeben:

Eintritt in die »Lateinische Schule«

Zu Ostern 1826 übersiedelte ich nach Halle. Selbstverständlich sollte ich in die »Lateinische Schule«, wie das Gymnasium der großen Francke'schen Waisen­stiftung genannt wurde, als Externer eintreten und bei meinem Bruder, der Medizin studirte, wohnen. Aber der Eintritt in diese Schule war für mich nicht leicht. Als ich mich bei dem Rektor Dieck meldete, wies mich derselbe rundweg ab, weil das Gymnasium ein rein protestantisches sei und noch niemals einen jüdischen Knaben aufgenommen habe. Man kann sich vorstellen, wie nieder­geschlagen ich war.

Aber mein Bruder gab die Hoff­nung nicht auf. Er ging mit mir zu dem Direktor der gesammten Stiftungen, dem als rationa­listischer Theologe und pädagogischer Schriftsteller berühmten Kanzler der Universität Hermann August Niemeyer. Als wir vor der Thür seines Arbeitszimmers angelangt waren, hörten wir darin musiziren und zögerten, einzutreten. Wir warteten eine Pause ab und fanden den 72jährigen Greis wirklich am Claviere sitzend. Er war von hoher, imponierender Gestalt und sein von Silberhaar umrahmtes Gesicht zeugte von ebenso vieler Menschenfreund­lichkeit wie Intelligenz.

Als ihm mein Bruder das Geschehene vorgetragen, zeigte er sich fast entrüstet. »Wie«, rief er aus, »wir sollten froh sein, wenn die Juden sich uns nähern, und sie heranziehen, wenn sie nach Bildung streben, nicht aber sie zurückweisen!« Er setzte sich nieder und schrieb kurzweg die Worte: »Der Knabe L. Ph. ist sofort in die Schule aufzunehmen.«

Gesamtansicht der Franckeschen Stiftungen von Süden um 1826
Gesamtansicht der Franckeschen Stiftungen von Süden um 1826 / © AFSt/B Sc 0052

Halle um 1826

Ich war vierzehn Tage vor dem Beginne der Schule in Halle angekommen und hatte deßhalb Muße, Stadt und Umgebung kennen zu lernen. Das damalige Halle war – also vor 60 Jahren – sehr verschieden von dem jetzigen. Es war kein angenehmer Aufenthaltsort, was jedoch die Jugend nicht abhielt, sich sehr wohl daselbst zu fühlen und auch ich habe glückliche Jahre daselbst verlebt. Schon von Weitem zeigte ein lästiger Torf- und Steinkohlen­geruch die Nähe der Stadt an. Von Industrie und Handel war keine Spur, außer der Salzfabrikation, die in dem abgeschlossenen Hallorenviertel betrieben ward. Noch war die Stadt mit Mauern und tiefen Gräben umgeben, welche viele Jahre später zu Spaziergängen umgewandelt worden sind. Die Straßen meist eng und krumm, von hohen Häusern besetzt, welche mit geringer Ausnahme noch einen alter­thümlichen Charakter hatten. Der große Markt war unregelmäßig, doch stattlich mit dem alten Rathhause, dem sog. rothen Thurm, dessen Kupferbedeckung aber längst grün geworden. In der Mitte der beiden Haus­mannsthürme, die mit einander durch eine Gallerie verbunden waren, von welcher jeden Abend ein Choral geblasen wurde, an der westlichen Seite, eine kolossale, grob gearbeitete Rolandsgestalt an einem vorspringenden Hause.

Die Universität

Die von 900 Studenten, besonders Theologen, besuchte Universität, besaß nicht einmal ein Univer­sitätsgebäude, das erst lange Zeit danach gebaut worden. Ihre Aula war in einem alten Gebäude, der Rathswaage, unter­gebracht, und jeder Professor hatte für ein Audi­torium selbst zu sorgen, im eigenen oder gemietheten Hause. Daher mußten die Studenten nach jeder Vorlesung von einem Hause zum anderen durch die Straßen ziehen, und die Einwohner benutzten dies als Zeitmesser. Die bürgerliche Bevölkerung, außer den Professoren und Beamten, stand in der Bildung noch zurück, und die Bürgersfrauen trugen meist noch ein Tuch um den Kopf gewunden.

Das bewegende Element in der Stadt waren die Studenten, welche noch mancherlei, meist angeeignete Vorrechte besaßen. Sie waren getheilt oder verbunden, wie man will, in Corps und Burschenschaften, was letzteren später, in der Zeit der Demagogen­riecherei, schlecht bekam. Feierliche Aufzüge in glänzendem Wichs waren nicht selten; aber auch Studenten­aufläufe schlimmer Art. Sobald die Musensöhne irgend eines ihrer Vorrechte angetastet glaubten, wenn etwa die Wächter des Gesetzes einen oder den anderen tumultuirenden Studenten arretirt hatten, lief man durch die Stadt mit dem Rufe: »Bursche heraus«, und jeder Student sollte dann ein Licht an's Fenster stellen und mit Rappiere oder Stock zum Marktplatz kommen. Die Besonneren blieben natürlich zu Hause. Dann sammelten sich um die Studenten die Schusterjungen und dergl. und schleppten auf Commando Steine herbei, um das Rathhaus zu bestürmen, dessen Fenster klirrend zu Boden stürzten. Setzten die Studenten ihren Willen durch, so war der Jubel groß. Hielten die Behörden Stand, so wurde als letztes Hülfsmittel ein förmlicher »Auszug« organisirt. Die Studenten zogen mit Musik aus der Stadt nach einem benachbarten Dorfe, wo sie lagerten, bis eine Verhandlung den Frieden wiederherstellte.

Die jüdische Gemeinde

Was nun die jüdische Gemeinde betrifft, so bestand sie damals nur aus einer kleinen Seelenzahl, aus wenigen hallischen Familien und einigem Zuzug aus den verschie­denen Provinzen. Sie besaß eine alte, ziemlich verwitterte Synagoge am Ende eines Sackgäßchens an der »großen Berline1«, ganz nach altem Stil, die beweglichen Stände ringsum den Almemor gruppirt, und ein dürftiges Gemeindehaus, in welchem ein alter Vorsänger mit Familie hauste; dazu noch ein etwas entlegener Friedhof aus alter Zeit. Von irgend einer Ordnung im Gottesdienst, von einem Religi­onslehrer nebst dessen Unterricht war keine Rede.

Erklärlicher Weise ersuchten deßhalb einige anständige Familien meinen Bruder nach dessen Ankunft, ihren Kindern Religionsunterricht zu ertheilen, und sobald ich in Halle angelangt war, wurde mir dieses Amt überwiesen. Trotz meiner Jugend faßten diese Eltern volles Vertrauen zu mir, und ich suchte, demselben nach Kräften zu entsprechen, indem ich den Knaben und Mädchen die Religionslehre und hebräisch Lesen und Uebersetzen beizubringen mich bemühte. Es hatte auch ganz guten Erfolg, denn die Kinder bemerkten, daß ich sie etwas zu lehren hatte, daß es mir von Herzen ging und ich es sehr ernst nehme. Für mich war dies zugleich eine willkommene Erwerbsquelle und eine gute Uebung meiner Kräfte.

Vielseitig begabt

Nach der Reifeprüfung nimmt Philippson 1829 ein Studium der Philosophie und Altphilologie an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin auf. Erste Arbeiten veröffentlicht er unter dem Namen seines Bruders und schließt das Studium mit einer Promotion ab. Nach dem Studium strebt er eine Tätigkeit im Bereich der Philologie in Frankreich an. Da Juden aber eine universitäre Karriere weitgehend verwehrt bleibt, ist er gezwungen, nach Magdeburg zurückzukehren, wo seine Familie inzwischen wohnt. Dort unterstützt er den betagten Rabbiner der jüdischen Gemeinde zeitweilig als Prediger.

Der Rabbiner

1834 wird Philippson mit nur 22 Jahren zum Prediger und Lehrer der Magdeburger Gemeinde berufen und 1839 zum Rabbiner ernannt. Diese Tätigkeit übt er fast 30 Jahre aus, bis ihn ein zunehmendes Augenleiden, das fast zur voll­ständigen Erblindung führt, 1862 in den Ruhestand zwingt. Er zieht sich als Ehrenrabbiner nach Bonn zurück, wo er trotz seiner Erkran­kung weiter als Publizist und Schriftsteller arbeitet.

Der Herausgeber und Autor

Philippsons herausragende Bedeutung liegt im Bereich der Publizistik. Als Gründer, Heraus­geber und maßgeblicher Autor der bedeutendsten deutschen jüdischen Zeitung, der »Allgemeinen Zeitung des Judentums« übt er unmittel­baren Einfluss auf die Selbstwahr­nehmung vieler deutscher Juden und ihre Weltsicht aus. Die Zeitung erscheint erstmals am 2. Mai 1837 in Leipzig, wird von Philippson bis zu seinem Tod geführt und erst 1922 eingestellt.

1855 gründet Philippson das Institut zur Förderung der israelitischen Literatur, das in den 18 Jahre seiner Existenz etwa 80 Werke in deutscher Sprache herausgibt, darunter Werke aus den Bereichen der jüdischen Wissenschaft, Poesie und der jüdischen Geschichte, so auch sieben Bände des Historikers Heinrich Graetz (1817–1891) zur Geschichte der Juden. Philippson verfasst auch selbst zahlreiche Erzählungen, Romane und einige Dramen, in denen er versucht, ein jüdisches Bewusstsein für die eigene Geschichte herzustellen.

Allgemeine Zeitung des Judentums, 1844 / Public domain, via Wikimedia Commons
Allgemeine Zeitung des Judentums, 1844 / Public domain, via Wikimedia Commons

Die Israelitische Bibel

Eine große Leistung Philippsons besteht in der Neuübersetzung der Bibel für die des Hebräischen weitgehend unkundige Mehrheit der deutschen jüdischen Bevölkerung und die damit verbundene Orga­nisation der Israelischen Bibel­anstalt 1859. Diese »Israelitische Bibel« prägt das jüdische Leben vor allem in Deutschland bis ins beginnende 20. Jahrhundert. 1868 ist Philippson Initiator der liberalen Rabbiner-Versammlung in Kassel sowie 1869 der jüdischen Synode in Leipzig. Im selben Jahr ist er an der Gründung des Deutsch-Israelitischen Gemein­debundes sowie der Einrichtung der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin beteiligt, deren Kuratorium er ab 1870 angehört.

In all seinen Wirkungsfeldern vertritt Ludwig Philippson einen Mittelweg zwischen den althergebrachten Ansichten orthodoxer jüdischer Kreise, die eine Integration der Juden in die sich entwickelnde bürgerliche Gesellschaft vollständig ablehnen, und Verfechtern radikaler Reformen, die eine vollständige Modernisierung anstreben und sich von allen überkommenen Traditionen zu trennen suchen. Er verbindet dabei fortschritts­freundlich-liberale Ideen im Kampf um die Emanzipation und rechtliche Gleichstellung der Juden mit konservativer Zurückhaltung in religiösen Einzelfragen.

»wo giebt es denn noch ein Volk der Tradition wie die Juden? Wo findet sich denn ein zäherer Autoritäts­glauben, als bei den Juden? Welche Konfession ist denn hartnäckiger in der Konservirung des Hergebrachten, der Gewohnheit, des Gebrauchs, der Sitte, als die Juden?«

Ludwig Philippson

Haben die Juden Jesum gekreuzigt?

Mit seinem Werk »Haben wirklich die Juden Jesum gekreuzigt?« wird Philippson 1866 über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt. Diese Abhandlung erscheint erstmals in der »Allgemeinen Zeitung des Juden­tums« und entfacht zum Teil sehr emo­tional geführte Diskussionen.

In seinem Vorwort zur Neuauf­lage von 1901 führt sein Sohn Martin Philippson dazu aus:

»Kaum hat eine andere jüdische Schrift in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts ein so allgemeines Aufsehen erregt, wie diese. Sie wurde elfmal in fremde Sprachen übersetzt und ist im Originaltext (4) längst vergriffen. (...) Unsere Gegenwart voll religiösen, ethischen und Rassen-Streites hat um so mehr den Wunsch angeregt, dieses Büchlein mit seiner eindring­lichen Friedenslehre Juden und Nicht-Juden von neuem vorzulegen.«

Und zu ihrem Zweck....

Die Schrift meines verewigten Vaters (…) sollte nicht litterarischem oder religiösem Streite dienen, sondern dem Frieden; sie war dazu bestimmt, den Hauptgrund der Abneigung, die streng religiös gesinnte Christen gegen die Juden hegen, zu beseitigen und damit eine versöhnlichere Stimmung bei unseren andersgläubigen Mitbürgern hervorzurufen. Aber man würde das Wesen Ludwig Philippsons gründlich verkennen, wenn man annähme, er habe um des guten Zweckes oder nur um einer vorgefassten Meinung willen den Thatsachen Gewalt angethan. Nein, erst als eine sorgfältige Untersuchung ihn zu der Ueberzeugung geführt hatte, dass die Juden — etwa abgesehen von einigen Denunzianten — an dem Prozesse Jesu unbetheiligt gewesen seien, erst da fasste er den Entschluss, die Gründe, die diese Anschauung hervorgerufen hatten, der Oeffent­lichkeit mitzutheilen, da sie den interkonfessionellen Frieden zu fördern geeignet waren...

Titel: Ludwig Philippson, Haben wirklich die Juden Jesum gekreuzigt?
Titel: Ludwig Philippson, Haben wirklich die Juden Jesum gekreuzigt? / © Leo Baeck Institute, New York

Politiker und Pädagoge

»Was in der Gegenwart die allgemeinste Bewegung hervorruft und die Zukunft Europa's mit schweren Erschütterungen bedroht, ist das Nationalitätsprinzip.«

Ludwig Philippson

Philippson betätigt sich erfolgreich in der Kommunalpolitik und wird 1848 als stellvertretender Abgeord­neter der gemäßigten liberalen Kräfte in die Frankfurter Natio­nalversammlung gewählt. In seinen Schriften über »Weltbewegende Fragen in Politik und Religion« erweist er sich als brillanter Analytiker der Zeitge­schichte und Kämpfer für die Gleichstellung der Juden.

»Der Jude hat nun von der Welt­geschich­te die Rolle überkommen, überall das Mittel der Prüfung für die wirkliche Existenz der persönlichen Freiheit, des Menschenrechts und der Menschen­würde zu sein. Dies ist die zweite soziale Mission der Juden und giebt dem Emanzipations­kampfe, unter dem wir aber nicht blos den legislatorischen verstehen, eine weltgeschichtliche Bedeutung.«

Er ist ein begabter Redner, seine Predigten, Vorlesungen und Vorträge, die oft weit über Themen des Juden­tums hinausreichen, haben erheb­lichen Zulauf. Sein Engagement auf pädagogischem Gebiet zeigt sich in der Veröffent­lichung eines israeli­tischen Predigt- und Schulmagazins, in seiner Präsidentschaft des Allgemeinen Lehrervereins der Provinz Sachsen und in dem Entwurf eines Bildungsprogramms, das ein selbst­ständiges Erwerbsleben jüdischer Frauen zum Ziel hat.

Im Alter von 78 Jahren stirbt Ludwig Philippson am 29. Dezember 1889 in Bonn an den Folgen eines Schlag­anfalls.

Grabstein für Rabbiner Dr. Ludwig Philippson, Jüdischer Friedhof in Bonn-Castell
Grabstein für Rabbiner Dr. Ludwig Philippson, Jüdischer Friedhof in Bonn-Castell / © Reinhardhauke, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Verdiente Söhne

Ludwig Philippson war mit Julie geb. Wolffstein verheiratet, die bereits 1843 verstarb. Aus dieser Ehe hatte er drei Töchter. 1844 heiratete er Mathilde geb. Hirsch (1822–1891). Von den sechs Kindern dieser Verbindung wurden vor allem der Historiker Martin Philippson (1846–1916) und der Geograph Alfred Philippson (1864–1953) bekannt.

Martin Philippson

Martin Philippson war nicht nur ein renommierter Historiker, sondern auch ein sozial enga­gierter Verfechter der Belange deutscher Juden in zahlreichen jüdischen Organisa­tionen.

1846 in Magdeburg geboren, studiert er seit 1863 Geschichte in Bonn und Berlin und promoviert 1866 mit einer Arbeit über Heinrich dem Löwen. Bereits 1871 im Alter von 25 Jahren habilitiert er sich an der Universität Bonn. Da ihm als Juden eine Professur in Deutschland verwehrt bleibt, geht er 1879 an die Universität Brüssel, wo er als Ordinarius das Historische Seminar gründet. 1890 wird er dort zum Rektor ernannt, legt aber wegen politischer Differenzen mit den Studierenden das Amt wieder nieder und kehrt nach Berlin zurück, wo er sich fortan sowohl auf wissenschaftlicher wie auf politischer und sozialpolitischer Ebene dem Judentum und seiner Geschichte widmet.

Als Vorsitzender der von ihm gegründeten »Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft des Judentums« entsteht seine dreibändige »Neueste Geschichte des jüdischen Volkes«, das Geschichts­werk, das am deutlichsten das assimilierte und integrierte Judentum verkörpert. Seit 1904 engagiert er sich im Vorstand des von ihm gegründeten »Verbands der deutschen Juden« und initiiert ein Gesamtarchiv der deutschen Juden. Er stirbt 1916 in Berlin.

Alfred Philippson

Der Bonner Geograph Alfred Philippson war nicht nur einer der bedeutendsten Griechen­landkenner der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, sondern seinerzeit auch der einzige jüdische Professor für Geographie in Deutschland.

1864 in Bonn geboren, studiert er Geographie, Geologie und National­ökonomie unter anderen bei Ferdinand von Richthofen in Bonn und Leipzig. Nach seiner Doktor­arbeit unternimmt Philippson mehrere Forschungs­reisen in Griechenland. Seine Habili­tationsschrift ist eine landeskundliche Arbeit über den Peloponnes. Zunächst wird ihm die Habilitation an vier deut­schen Universitäten verwehrt. Erst 1891 kann er sie an der Universität Bonn einreichen. Den ersten Ruf als Professor für Geographie erhält er 1904 aus der Schweiz an die Universität in Bern, 1906 geht er an die Universität in Halle. 1911 kehrt er schließlich als Professor für Geographie in seine Hei­matstadt Bonn zurück. Trotz der anfäng­lichen Widerstände wird Philippson einer der bedeutend­sten Hochschul­lehrer der Geographie. Seine Arbeiten sind wegweisend für die Entwicklung der Allge­mei­nen Physischen Geographie wie auch von großer Bedeu­tung für Historiker und Archäologen. 1929 wird er emeritiert. Ab 1933 ist er zuneh­mend der antisemitischen Politik der Nationalsozialisten ausgesetzt. 1942 wird Philippson mit seiner Frau Margarete und seiner Tochter Dora in das KZ Theresienstadt deportiert. Nach einigen Monaten Gefangen­schaft in einem Massenquartier unter katastrophalen hygienischen Bedingungen erhält Philippson als bedeutender Wissenschaft­ler »Prominentenstatus« und damit Privilegien, die der Familie das Überleben ermöglichen. Sven Hedin, ein bekannter schwe­di­scher Studienkollege Philippsons, der mit den Nationalsozialisten sympathi­sierte, hatte seinen Einfluss geltend gemacht. 1945 kehrt die Familie nach Bonn zurück. Philippson unterrichtet erneut an der Universität und widmet sich bis zu seinem Tode im Alter von 89 Jahren seinem wissenschaftlichen Werk.

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Über das Porträt


Ein »Erinnerungsstück« von
Franckesche Stiftungen zu Halle
www.francke-halle.de

Autor: Dr. Jürgen Gröschl, Diplomarchivar, Franckesche Stiftungen

Gestaltung und redaktionelle Bearbeitung: Dr. Ulrike Horstenkamp, AsKI e.V.

Techn. Bearbeitung von Bild-, Audio- und Videodateien: Franz Fechner, AsKI e.V.

Quellenangaben

Die Franckeschen Stiftungen zu Halle
Die Franckeschen Stiftungen, gegründet 1698 als eine Waisen- und Bildungs­anstalt durch den Theologen August Hermann Francke (1663–1727), entwickelten sich im 18. Jahrhundert zu einer Schulstadt und einem der bedeutendsten protestan­­tischen Bildungsstandorte Europas. Das in sich geschlossene historische Ensemble mit über 50 Gebäuden und Schulbauten, darunter eine Kunst- und Naturalienkammer und einer Bibliothek aus dem 18. Jahrhundert, ist bis heute erhalten geblieben.

Die Franckeschen Stiftungen verstehen sich als lebendiger kultureller Bildungs­kosmos an historischer Stätte. Mit ihren musealen Schätzen sowie Bibliothek, Archiv und mehreren pädagogischen Einrichtungen, aber auch mit den etwa 40 Partnern auf dem Gelände bilden die Stiftungen ein einzigartiges Zentrum kultureller, pädagogischer, wissen­schaftlicher, sozialer und christlicher Aktivitäten.