»Außer S. M., meinem Kaiser, haben nur die Juden etwas für die Abteilung getan!
Als die Islamische Abteilung, aus der später das Museum für Islamische Kunst wurde, 1904 gegründet wurde, war sie im Vergleich zu anderen eine eher kleine Sammlung. Nach und nach wurde die Sammlung von enthusiastischen Menschen mit großer Leidenschaft für die Kunst und Kultur islamisch geprägter Länder auf- und ausgebaut und das Museum auf ganz unterschiedliche Weise unterstützt. Viele von diesen Menschen waren Berliner Jüdinnen und Juden und auch und gerade Max Ginsberg war mit dem Museum und seinen Mitarbeitenden eng verbunden. Er unterstützte das Museum vor allem durch umfangreiche Leihgaben, mit denen das Museum neue Ausstellungen bestücken konnte.
Am 20. Mai 1872 wird Max Ginsberg in Berlin geboren. Seine Mutter Franziska Sachs (1848–1938) stammt aus Berlin und sein Vater Adolph Ginsberg (1839–1898) aus Tschenstochau (Czestochowa) in Schlesien. Max hat zwei Schwestern, Frida und Rosa, und drei Brüder, Ludwig, Wilhelm und Sigmund Ginsberg. Er heiratet Henriette Sachs, die am 10.08.1875 in Berlin geboren wird. Die Familien Ginsberg und Sachs sind mehrfach miteinander verschwägert. Henriette und Max bekommen drei Kinder: Adele, Adolph und Bernhard Ginsberg.
Das Elternhaus von Max Ginsberg befindet sich in der Viktoriastraße 9 im Berliner Tiergartenviertel. Später wohnt er in der Villa Augusta in der Brückenallee 1, ebenfalls im Berliner Tiergarten. Als die Nazis an die Macht kommen, drängen sie viele Jüdinnen und Juden aus ihren Häusern. Auch Henriette und Max werden im Herbst 1937 gezwungen ihre bessere Wohnlage aufzugeben und zu ihrer Tochter Adele und deren Ehemann Dr. Max Nothmann in die Nassauische Straße 7/8 nach Berlin-Wilmersdorf zu ziehen.
Ein Onkel von Henriette Sachs ist der Fotograf und Forschungsreisende Hermann Burchardt (1857–1909). Burchardt bereist viele islamisch geprägte Regionen der Welt, darunter Syrien, Palästina und der Libanon sowie die Golfregion, wo er schließlich bei einem Überfall ums Leben kommt.
Wenn Hermann Burchardt zwischen seinen ausgedehnten Reisen in seiner Heimatstadt Berlin verweilt, dann wohnt er als Gast von Max und Henriette Ginsberg in der Villa Augusta. Und so ist es denn auch eine Möglichkeit, dass Max Ginsberg über seinen Onkel zu seiner Faszination für die Kunst und Kultur islamisch geprägter Regionen kommt. Jedenfalls leiht er der Islamischen Abteilung – dem späteren Museum für Islamische Kunst – im Jahr 1923 ein geschnitztes Holzpaneel mit der Bitte, dieses in der Ausstellung mit dem Hinweis auf Hermann Burchardt zu versehen.
Der Begriff »Islamische Kunst« hat sich als Bezeichnung für diesen Teilbereich der Kunstgeschichte seit dem frühen 20. Jahrhundert etabliert. Daher wird er hier verwendet, obwohl er fragwürdig ist. Zum einen suggeriert er einen unbedingten Zusammenhang zwischen Religion und Kunst, der jedoch nicht immer gegeben ist. Zum anderen reflektiert er die Entstehung dieses Teilbereichs der Kunstgeschichte in akademischen Sphären des globalen Nordens zu einer Zeit, in der direkte oder mittelbare koloniale Herrschaft in einigen betreffenden Erdteilen noch eine oft bittere Realität war.
Die beiden Männer dürften sich nahestehen, denn nach Burchardts Tod erbt Max Ginsberg dessen Sammlung von zweitausend auf Glasplatten festgehaltenen Fotografien von dessen Reisen. Max Ginsberg wiederum schenkt dieses bedeutende ethnografische Konvolut dem Berliner Völkerkundemuseum, dem heutigen Ethnologischen Museum.
Zunächst ist die Familie Ginsberg in Schlesien in der Textilherstellung und -verarbeitung tätig. Sie besitzt in der Region um die Städte Czestochowa, Zawiercie und Lódz Fabriken, in denen im großen Stil Stoffe produziert werden. Nach dem Umzug nach Berlin gründen die Ginsbergs 1866 eine Bank, die gemeinsam von Max und seinem Bruder Ludwig Ginsberg und ihrem Großneffen Herbert Ginsberg geführt wurde. Das Bankhaus Gebrüder Ginsberg ist zeitweise in der Oberwallstraße 12–13 in Berlin-Mitte ansässig.
Neben ihren Wohnhäusern sind aber auch die Unternehmungen der deutschen Jüdinnen und Juden nicht sicher vor dem Zugriff der Nazis und so wird die Bank 1936 »arisiert«. Dieser Begriff aus dem Jargon der Nazis bezeichnet eine Praxis der Bereicherung privater oder öffentlicher Personen oder Organisationen an vormals jüdischem Besitz.
Auch sein Bruder Ludwig Ginsberg und sein Vetter Herbert Ginsberg, mit denen Max das Bankhaus leitet, sammeln Kunstwerke. Ludwig Ginsberg besitzt die größte private Sammlung von Menzel-Grafiken, während Herbert Ginsberg ostasiatische Kunst zusammenträgt. Zu beiden Sammlern und ihren Sammlungen gibt es – wie seit 2021 zu Max Ginsberg auch – Projekte, die die Provenienz der Objekte erforschen.
In der Entstehungszeit des Museums für Islamische Kunst, das im Jahr 1904 zunächst unter der Bezeichnung Islamische Abteilung gegründet wird, sind private Sammlerinnen und Sammler von besonderer Bedeutung. Als junges Museum, das sich noch dazu eines Themenbereichs annimmt, der bis dahin kaum als eigenständiges Forschungsgebiet etabliert ist, knüpft das Museum und sein Direktorium gute Verbindungen zu Privatleuten mit Sammlungen von Kunstobjekten aus islamisch geprägten Regionen. Viele dieser Privatleute sind jüdischen Glaubens.
»Jüdische Sammler, wie Max Ginsberg, und jüdische Wissenschaftler haben sowohl das Museum als auch die gesamte wissenschaftliche Fachrichtung von der Kunst und Archäologie islamisch geprägter Länder entscheidend mit geprägt.«
Zum einen gibt es um die Jahrhundertwende in gewissen Teilen des Bürgertums eine allgemeine Faszination für außereuropäische Kulturen und ihre Künste. Zum anderen sind unter diesen Enthusiasten überdurchschnittlich viele Jüdinnen und Juden, deren Interesse explizit den islamisch geprägten Regionen gilt. Dafür könnte es mehrere Ursachen geben.
Einerseits ist es für Jüdinnen und Juden in Deutschland zu jener Zeit trotz der – historisch gesehen – verhältnismäßig hohen gesellschaftlichen Akzeptanz häufig schwer sich in etablierten Bereichen von Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft allgemein einzubringen. Daher sind neu entstehende Fachbereiche und Institutionen möglicherweise eine willkommene Gelegenheit zur kulturellen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Teilhabe.
Andererseits kann auch eine gewisse emotionale Verbundenheit mit der Region und den dortigen Kulturen eine Rolle gespielt haben. Judentum, Islam – und auch Christentum – verbinden gewisse gegenseitige geografische, theologische und historische Bezüge, die sich teilweise eben auch in Kunstwerken und ihren Kontexten manifestieren. Und sie finden sich darüber hinaus in der Synagogenarchitektur in Europa und Amerika, wo ab den 1830er-Jahren bis zum Ersten Weltkrieg der sogenannte maurische Stil vorherrschend ist.1 Gemeint ist ein Baustil, der an verschiedene Baustile erinnert, die im Nahen und Mittleren Osten oder in Nordafrika zu finden sind.
Damit stehen die jüdischen Gotteshäuser jener Zeit sinnbildlich für die gemeinsamen geografischen Wurzeln der abrahamitischen Religionen, vor allem aber von Judentum und Islam in Vorderasien. In Teilen der historischen Bauforschung wird hinter diesem Trend eine »Selbstorientalisierung« des Judentums in der Diaspora vermutet.2 Nicht ohne Stolz, dafür aber frei von jenen Feindseligkeiten, die heute in der Wahrnehmung vielfach das Verhältnis von Islam und Judentum bestimmen, wird hier auf eine gemeinsame Geschichte Bezug genommen, die sich beispielhaft im Architekturstil ausdrückt.
Und so sind mit Eduard Arnhold, Charlotte von Mendelssohn-Bartholdy, Alfred und Eva Cassirer, Jakob Goldschmidt, Eduard Simon und vielen weiteren mehr zahlreiche Jüdinnen und Juden daran beteiligt, dass Schenkungen, Leihgaben und Ankäufe die Sammlung bereichern, aber auch, dass Ausgrabungen finanziert werden können. Die engen Verbindungen zwischen diesen Personen und dem Direktorium des Museums sind aber darauf nicht beschränkt. Als Fachleute auf demselben Gebiet tauschen sie sich über einzelne Objekte und über damit zusammenhängende Fragestellungen aus. Und in Einzelfällen sind Privatpersonen auch in Gremien des Museums, wie der Ankaufskommission vertreten, wo sie mit darüber befinden, welche Kunstwerke zu welchem Preis für die Sammlung erworben werden sollen.
Vor allem die Leihgaben erlauben es dem Museum mit den geliehenen Objektgruppen und Kunstwerken Ausstellungen zu machen, die mit dem eigentlichen Inventar nicht möglich gewesen wären. So kommt neues und mehr Publikum ins Museum und trägt zu dessen Bekanntheit und Entwicklung bei. 1932 findet dann auch eine Ausstellung mit dem Titel »Islamische Kunst in Berliner Privatbesitz« statt, bei der fast ausschließlich jüdische Sammlerinnen und Sammler ausstellen.
Über die Sammlung von Max Ginsberg ist heute nicht mehr viel bekannt, einiges kann aber dennoch rekonstruiert werden. In jedem Fall scheint es eine einschlägige Sammlung Islamischer Kunst gewesen zu sein. Denn nach der oben genannten Sammelausstellung widmet das Museum für Islamische Kunst ihr sogar eine Einzelausstellung. Eine Auflistung der 67 geliehenen Objekte ist im Archiv des Museums erhalten geblieben.
Aus dem Briefwechsel mit dem damaligen Direktor des Museums Prof. Dr. Ernst Kühnel von 1933 geht hervor, dass die Sammlung Max Ginsberg mindestens die Objektgruppen Metall, Leder und Lack, sowie Glas und Keramik umfasste, wobei vor allem die Glas- und Keramikobjekte von hervorgehobener Bedeutung gewesen sein müssen. Zudem findet sich neben dem bereits erwähnten Holzpaneel zu einem unbekannten Zeitpunkt auch ein Textilobjekt (Tiraz) in seinem Besitz, von dem sich eine Abbildung im Museum für Islamische Kunst erhalten hat. Ein Zeichen für die Bekanntheit seiner Sammlung ist ihre Erwähnung in dem Aufsatz »Der Berliner Kaufmann als Kunstfreund« des Kunstkritikers Adolph Donath, der 1929 im Gedenkbuch des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller aus Anlass seines 50-jährigen Bestehens, »Berlin – Aufstieg zur Weltstadt«, erschien.
»Bei Dr. Max Ginsberg reizt uns eine gewählte Sammlung islamischer Keramik«
»Nachdem Herr Prof. R. Schmidt vor längerer Zeit mir seine Beurteilung meiner Glassammlung zugesandt hat, wäre ich Ihnen verbunden, falls Sie mir liebenswürdigerweise Ihre Ansicht über meine Keramik, Metallarbeiten, Leder- und Lackarbeiten mitteilen würden. Es würde sich nicht um eine Schätzung des geldlichen Wertes, sondern der Qualität der Gegenstände handeln; außerdem wäre mir eine Äußerung sehr erwünscht, ob Stücke der verschiedenen Kunstperioden nach Ihrer Meinung vertreten sind.«
Max Ginsberg an Ernst Kühnel, 1933
Insgesamt hat die Sammlung Max Ginsberg mehr als 380 Kunstwerke umfasst. Jedenfalls wird diese Ende Juli 1939 – ein knappes Jahr nach Max Ginsbergs Tod – in London beim Auktionshaus Sotheby‘s in einer Auktion versteigert, die seinen Namen nicht nennt, aber mit seiner Sammlung in Verbindung gebracht werden muss. Noch 1936 hatte er dem Kunstgewerbemuseum in Zürich zahlreiche Leihgaben zur Verfügung gestellt. Wie und unter welchen Umständen die Objekte in diesen Jahren, als die Repressionen der Nazis gegen die jüdische Bevölkerung immer weiter zunehmen, durch Europa verschickt werden konnten, ist bislang unklar. Abgesehen von Einzelstücken, die sich u.a. in Londoner Museen befinden, ist vom Verbleib der Sammlung heute wenig bekannt.
In einem Brief vom Januar 1930 bringt Max Ginsberg die Sorge um seine Sammlung zum Ausdruck. Ob diese Sorge auf die Entwicklungen rund um die Weltwirtschaftskrise von 1929 zurückgeht, kann höchstens vermutet werden. Damals jedenfalls nimmt die Wirtschaftsleistung rund um den Globus stark ab, Menschen verlieren ihre Beschäftigung und Firmen müssen schließen.
»Zur Ausstellung stehe ich Ihnen, sehr geehrter Herr Professor, natürlich mit meiner Sammlung gern zur Verfügung, falls ich sie noch besitzen sollte.«
Und dennoch ist dieser Umstand wohl noch verhältnismäßig glimpflich, im Vergleich zu dem, was ab 1933 und der Wahl Adolf Hitlers zum Reichskanzler auf die Jüdinnen und Juden in Deutschland, Europa und darüber hinaus zukommt. Die lange Liste faschistischer und antisemitischer Erlasse zur Herabwürdigung und Ausgrenzung, die die Nazis sogleich nach der Machtübernahme und in deren Folge kontinuierlich durchsetzen, betrifft alle Lebensbereiche und ist annähernd lückenlos.
Ein trauriger Höhepunkt im Kulturbereich ist im Dezember 1938 erreicht, als Jüdinnen und Juden u.a. der Zugang zu Museen verboten wird. Schon zuvor werden jüdische Angestellte aus dem Dienst in Museen entlassen. Im Museum für Islamische Kunst ist das etwa der Archäologe Ernst Herzfeld (1879–1948), der nach der Rückkehr von einer Grabung im heutigen Irak gezwungen ist, in die USA zu fliehen. Ebenso betroffen ist Richard Ettinghausen (1906–1979), ein bis 1934 in der islamischen Abteilung tätiger Kunsthistoriker, der über Großbritannien in die USA emigriert. Auch die engen fachlichen und persönlichen Beziehungen zwischen jüdischen Sammlerinnen und Sammlern und dem Personal des Museums zerbrechen wohl unwiederbringlich in dieser Zeit.
Henriette Ginsberg wird im Herbst 1942 in einem der so genannten »Osttransporte« nach Treblinka gebracht und dort ermordet. Tochter Adele und ihr Ehemann Max Nothman werden im Frühjahr 1943 zusammen mit der 14-jährigen Enkelin Vera nach Auschwitz deportiert und dort ebenfalls ermordet.
Allein Gerda, die ältere Enkelin, die 1943 über Westerbork (Niederlande) nach Auschwitz kommt, überlebt Vernichtungslager und Zwangsarbeit. Nach der Befreiung gelingt ihr über Dänemark und Schweden schließlich die Ausreise in die USA, wo sie bis 1999 lebt. Die Söhne von Henriette und Max Ginsberg, Adolph und Bernhard, fliehen 1939 über Großbritannien in die USA und leben bei Kriegsende in Virginia. Nur durch einen glücklichen Zufall schafft es Gerda, den Kontakt herzustellen und bei der Familie unterzukommen. Max Ginsberg selbst stirbt bereits am 5. Mai 1938 infolge eines längeren Krebsleidens.
Zuletzt tauchte das bereits erwähnte Holzpaneel, das Max Ginsberg dem Museum für Islamische Kunst einst in Erinnerung an seinen Onkel – den Forschungsreisenden Hermann Burchardt – lieh, im Jahr 2021 dort in einem Depot wieder auf. Es hatte dort Jahrzehnte unerkannt gelegen und konnte schließlich eindeutig zugeordnet werden.
Maßnahmen zur Ermittlung der Erben für eine eventuelle Rückgabe dieser Dauerleihgabe wurden vom Museum eingeleitet. Das ist aber immer noch nicht die ganze Geschichte des Holzpaneels. Denn es gehört zu einer Reihe von Objekten, die von sowjetischen Soldaten wahrscheinlich Ende 1945 oder Anfang 1946 als Reparationen für im Zweiten Weltkrieg erlittene Verluste und Leid von der Museumsinsel in die damalige Sowjetunion gebracht wurden. Im November 1958 kam es dann nach 13 Jahren zurück nach Berlin.
Ende des Jahres 2021 startet in Berlin außerdem ein vom Zentrum für Kulturgutverluste gefördertes Forschungsprojekt, das sich explizit der Kunstsammlung von Dr. Max Ginsberg widmet. Darin soll weiter erforscht werden, was mit der Sammlung nach der Versteigerung 1939 geschah und welche Objekte überhaupt zur Sammlung gehörten.
Verschiedene Personen und Initiativen halten die Erinnerung an die Jüdinnen und Juden wach, die Deutschland am Anfang des 20. Jahrhunderts mitprägten, oder die hier auch einfach nur ein ganz unscheinbares Leben führten.
Das ist ein wichtiges Anliegen, um diesen Menschen einen Teil ihrer Würde wiederzugeben, die die Nazis ihnen nehmen wollten. Und es ist darüber hinaus auch wichtig, um aus der erschreckenden Vergangenheit fruchtbare Schlüsse für die Gegenwart und Zukunft zu ziehen. Auch heute sollte aufgehorcht werden, wenn Menschen anhand bestimmter Merkmale zu vermeintlich einheitlichen Gruppen zusammengefasst und ausgegrenzt werden. Auch heute sollte aufgehorcht werden, wenn sich einige über andere erheben wollen und manchen Menschen als höherwertiger dargestellt werden, als andere.
Eine vielfältige, offene und tolerante Gesellschaft gibt allen den Raum sich frei zu entfalten und die eigene Identität und Individualität selbstbewusst zu leben. Sie ist oft aber keine Selbstverständlichkeit und muss erstritten oder zumindest verteidigt werden. Zu jeder Zeit gibt es Gefahren für die vielfältige, offene und tolerante Gesellschaft. Daneben gibt es aber vor allem auch die Vorzüge, die klar und deutlich hervortreten. Sie sind ganz grundlegender Natur und ermöglichen den Menschen ein Leben in Freiheit und Würde. Und sie drücken sich in unzähligen gesellschaftlichen Teilbereichen und Aspekten aus, von denen das Museumswesen und die Islamische Kunstgeschichte nur einer unter vielen ist.
Und so wirken das Engagement und die Leidenschaft jüdischer Sammler wie Max Ginsberg, die sich für islamische Kunst und für das dazugehörige Museum begeisterten, bis heute nach. Das stellt auch der aktuelle Direktor des Museums Prof. Dr. STEFAN WEBER heraus, wenn er hervorhebt:
»Ein Blick auf Deutschland und unser Museum vor und nach 1933 erschreckt immer und immer wieder. Es ist unfassbar welcher intellektuelle und kulturelle Reichtum durch kollektiven Wahnsinn in wenigen Jahren barbarisch verstümmelt wurde. Ein Verlust und unverheilte Wunden, die heute noch schmerzen – auch wegen ihrer vollständigen Sinnlosigkeit und Dummheit. Für uns im Museum ist dieser Blick lebendige Erinnerung – auch der Erfolge deutsch-jüdischer Museumsgeschichte zur Islamischen Kunst vor 1933 − und damit Auftrag, unsere plurale Gegenwart konstruktiv zu gestalten.«
Im Mai 2022 reisen einige Nachfahren von Max Ginsberg aus Minnesota/USA nach Berlin. Die Reisegruppe besteht aus mehreren Generationen und besucht u.a. das Museum für Islamische Kunst, wo sie sich das bereits erwähnte Holzpaneel ansieht. Außerdem organisiert die Familie die Verlegung von Stolpersteinen auf dem Gehweg vor dem Haus in der Aschaffenburger Straße 26 in Berlin-Wilmersdorf. Ein Haus, in dem die Familie kurz vor ihrer Deportation unterkommt. Zu der Installation der Stolpersteine gehört eine würdevolle und persönliche Zeremonie mit Redebeiträgen und Musik.
Es ist vor allem die junge Generation der Nachkommen, die hervorhebt, wie wichtig das Gedenken an Personen und Ereignisse am tatsächlichen Ort des Geschehens ist. Für sie ist die das Erinnern auch eine Form der Selbstbehauptung und Selbstvergewisserung. Denn wer sichtbar erinnert, der hat offensichtlich überlebt und ist somit auch ein lebendiges Zeugnis dafür, dass die Nationalsozialisten das Ziel jüdisches Leben vollständig zu vernichten nicht erreichten.
Mit dem Teilen dieses Porträts in sozialen Netzwerken unterstützen Sie unser Anliegen, an jüdische Persönlichkeiten, die unsere Gesellschaft seit über 1.700 Jahren mitgestalten, aktiv zu erinnern.
Ein »Erinnerungsstück« von
Museum für Islamische Kunst – Staatliche Museen zu Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz
www.smb.museum
Autor: Roman Singendonk, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Museum für Islamische Kunst
Redaktionelle Bearbeitung und Gestaltung: Dr. Jessica Popp, AsKI e.V.
Techn. Bearbeitung von Bild-, Audio- und Videodateien: Franz Fechner, AsKI e.V.
Das Museum für Islamische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin ist Teil der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Es befindet sich im Pergamonmuseum auf der Berliner Museumsinsel und ist damit Teil des UNESCO-Weltkulturerbes. Es ist die einzige Institution dieser Art im deutschsprachigen Raum und gehört mit ca. 100.000 Stücken zu einer der weltweit führenden Sammlungen für Islamische Kunst. Außerhalb der islamisch geprägten Regionen ist es das älteste Museum, das sich der Region und ihren Künsten und Kulturen widmet. Seit 2011 konzentriert sich das Museum für Islamische Kunst zudem verstärkt auf die Bildungsarbeit und tritt aktiv für eine vielfältige, offene und tolerante Gesellschaft ein.