LUCIAN BERNHARD
1883–1972

Ein Designer-Prototyp

»

Gutes Plakatdesign entsteht aus der Vereinigung der geistigen und der handwerklichen Fähigkeit eines einzelnen Künstlers.

Lucian Bernhard

Lucian Bernhard begründete und prägte das Bild des Grafikers, wie wir es heute kennen, entscheidend. Man könnte behaupten, er bildete den Prototypen einer wirtschaftlich agierenden Design- oder Branding-Agentur: Innovativ wie serviceorientiert, unternehmerisch, strategisch, fern vom reinen Handwerk, nah am konzeptionellen Ansatz. Er entwickelte ein ganzheitliches Berufsverständnis, das noch heute existiert, begann mit der Gestaltung von Werbeplakaten, spezialisierte sich aber nicht darauf, um alle von der Industrie benötigten Druckerzeugnisse liefern zu können. Sein Portfolio erweiterte sich: Von Typografie über Buchgestaltung, Interieur bis hin zum Architekturentwurf.

In der NS-Zeit war eine seiner Schriften, die »Bernhard Fraktur«,  Anlass einer grotesken Episode im Streit um die wahre »deutsche Schrift«, als den Nationalsozialisten auffiel, dass das Parteiorgan der NSDAP, der »Völkische Beobachter«, eine Schrift verwendete, die von einem jüdischen Grafiker entwickelt worden war.

Gestalterische Anfänge

Als Kind einer deutsch-jüdischen Familie kommt Emil Kahn am 15. März 1883 in Cannstatt bei Stuttgart zur Welt. Mit dem Wunsch, Schauspieler zu werden, zieht es ihn mit Eintritt der Volljährigkeit in die Großstadt. Er wählt Berlin für einen Neustart und ändert dafür 1901 seinen Namen in Lucian Bernhard, der für ihn weltmännischer anklingt. Doch nach eigenen Aussagen ändert der junge Bernhard schnell seinen Fokus. Durch eine entscheidende Begegnung tritt er in die Reklameszene Berlins ein. In verkürzter Form gibt Bernhard die Szenerie fast 20 Jahre später wie folgt wieder:

»In der Absicht, Filmschauspieler zu werden, kam ich am 15. März 18.. zur Welt. Leider war der Kientopp noch nicht reif. Ich wandelte daher im Geistedunst die Brüderstraße nach den Linden. Dort traf mich der berühmte Reklamefachmann Ernst Growald und bot mir sofort 20 Mark, wenn ich meinen Geist aufgäbe und zur Plakatkunst überginge. Ich sagte bong und begründete um ¾ 2 im nahen Café Bauer an Hand einiger Streichhölzer den neuen deutschen Plakatstil, welcher zum Teil heute noch getragen wird. Trotz zahlreicher Anerkennungsschreiben von Ärzten, Hofräten etc. bin ich noch heute der schlichte Mann aus dem Volk mit dem goldigen Wiener Herz. Ovationen werden entgegen genommen Kurfürstendamm 23a.«

Lucien Bernhard, in: Handbücher der Reklamekunst: IV Unsere Reklamekünstler, herausgegeben vom Verein Plakatfreunde e.V., Verlag das Plakat/Charlottenburg, 2/1919

Das Cafe Bauer in Berlin, Unter den Linden, um 1900
Das Cafe Bauer in Berlin, Unter den Linden, um 1900 / © Wikimedia Commons

Reklameszene Berlin

Das Zusammentreffen mit Ernst Growald eröffnet Lucian Bernhard eine neue Welt. Ein scheinbar vorhandenes Talent feinsinniger Zeichenkunst und ein gutes Abstraktionsvermögen verhelfen ihm schnell zu ersten Aufträgen.

Ein wichtiger Mentor wird für ihn der Maler und Karikaturist Edmund Edel. Zunächst übernimmt Bernhard Botengänge und allerlei Hilfsdienste für den Künstler, darf aber dafür in seinem Atelier logieren. Im Dunstkreis um Growald und Edel bieten sich dem jungen Talent gute Kontakte. So nimmt auch die Berliner Druckerei Hollerbaum & Schmidt von ihm Notiz, außerdem geht Bernhard im Redaktionsbüro der Zeitschrift »Moderne Reklame« ein und aus.

Martin Hildebrandt, Chefredakteur der Zeitschrift, erinnert sich an einen wichtigen Moment in diesen Räumen:

»Ich kannte Lucian Bernhard aus jener Zeit, in der er sich selber noch nicht kannte. Und ich kannte ihn in jenen Tagen, in denen er sich kennen lernte. Das war damals, als die Firma Edler&Kirsche (Großdruckerei und Buchbinderei, A.d.A.) in Verbindung mit etwa einem Dutzend Großindustrieller einen großen Wettbewerb für Plakat-Entwürfe ausgeschrieben hatte und die Früchte dieses Wettbewerbs in den Räumen des Verlegers der ›Moderne Reklame‹ … öffentlich ausgestellt waren. […]  Unter den ausgestellten Entwürfen jenes großen Wettbewerbs fesselte namentlich einer das Interesse Bernhards, der von Wilhelm Schulz, der zu dem Wettbewerb einer Fabrik für Kochherde gehörte und einen der drei Ehrenpreise dieses grossen Wettbewerbs davongetragen hatte. Man sah da sechs blaue Emailletöpfe verschiedener Grösse auf einer Herdplatte stehen, von der selbst kaum etwas zu sehen war. … Aber die Töpfe waren ein Meisterwerk beschaulicher Darstellung. Man konnte das Auge schier nicht davon abwenden. … Die preisausschreibende Firma hatte natürlich erwartet, eine zugkräftige Reklame für Kochherde zu erlangen und bekam ein Plakat für Emailletöpfe.«

(aus: Martin Hildebrandt, Chefredakteur der Zeitschrift »Moderne Reklame«)

Bernhard und das Plakat

Die Ergebnisse des betrachteten Plakatwettbewerbs lösen bei Bernhard einen wichtigen Denkanstoß aus. Er filtert für sich den reduzierten Stil der Produktdarstellung heraus sowie die Wichtigkeit der Funktionalität eines Plakates im Stadtraum. Die zu bewerbende Ware muss im Mittelpunkt stehen. Die Berliner Plakatszenerie ist zu diesem Zeitpunkt noch stark vom Jugendstil geprägt, lebt von Dekor und schönen Damen, die Reklameobjekte spielen eher die zweite Geige. Gerade in einer Zeit, in der die Geschwindigkeit innerhalb der Städte durch neue Verkehrsmittel immer mehr zunimmt, nimmt auch die Rezeptionszeit eines Plakates immer mehr ab. Eine Werbung muss nun innerhalb von Sekunden funktionieren. Diese Erkenntnis hat Lucian Bernhard und kann sie direkt in einem Auftrag für die Deutsche Zündhölzerfabrik AG anwenden. Der Plakatentwurf Bernhards für die Priester-Hölzer ist aufs Minimalste reduziert. Er zeigt die schlichte Darstellung von 2 Streichhölzern in zwei Farben, übertitelt mit dem Namen des Produktes in einer markanten Typografie. Das sogenannte »Berliner Sachplakat« ist geboren, 1903 erblickt es das Licht der Welt. Nur zwei Jahre nach seiner Ankunft in Berlin eröffnet Lucian Bernhard sein eigenes Atelier und prägt die Plakat- und Grafiklandschaft nachhaltig.

Die Plakate aus Bernhards Feder sind omnipräsent und so manches entworfene Signet lässt sich noch heute in Geschäftsberichten einiger Unternehmen wiederfinden. Bekannt sind vor allem seine umfassenden Arbeiten für die Sektmanufaktur Henkell, die Zigarettenmarke Manoli, Bosch, Schreibmaschinenhersteller Adler, Steinway, Faber Castell oder Osram.

Schriftgestalter Bernhard

Weniger bewusst ist vielen Lucian Bernhards typografisches Œuvre, auch wenn man Bernhards Schriften vielleicht schon selbst in Gebrauch genommen hat. Im Laufe seines Schaffens veröffentlicht er über 30 Satzschriften, von denen viele die Logos bekannter Marken wie Audi oder UFA prägen.

Audi Automobilwerke AG
Audi Automobilwerke AG / © Lucian Bernhard

Doch wie kommt es zu der Veröffentlichung eines »echten Bernhard-Fonts«? Bernhards populäre Sachplakate sind in der Regel mit handgezeichneten Headlines versehen, die stark im Gedächtnis bleiben, die aber ursprünglich für jedes Plakatmotiv individuell konstruiert wurden. Bernhards Stil ist deutlich wiederzuerkennen und hat scheinbar auch nachdrücklichen Einfluss auf seine Grafikerkollegen.

1908 entdeckt er eine von der Schriftgießerei Berthold unter dem Namen »Block« veröffentlichte Groteskschrift von Herrmann Hoffmann, die nach Bernhards Ansicht extreme Ähnlichkeit mit den eigenen Handschriften hat. Er unterstellt ein Plagiat, ist aber damit rechtlich nicht erfolgreich. Diese Erfahrung prägt Bernhard und lässt ihn die Entscheidung fassen, die von ihm oft eingesetzten Antiqua- und Frakturlettern zur Serienreife zu entwickeln. Die erste dieser Schriften bringt die Frankfurter Schriftgießerei Flinsch 1911 auf den Markt. Die »fette Bernhard Antiqua« ist von der amerikanischen Satzschrift »Kolonial« und gezeichneten Plakatschriften der Brüder Beggarstaff inspiriert. Ihre Besonderheit erhält sie durch die typische, leicht unruhige, weiche Kontur Bernhards, der händische Entwurf mit dem Pinsel ist nicht zu verkennen, was den Font in größeren Schriftgraden sehr lebendig wirken lässt und schließlich zu ihrer Popularität führt.

›Deutsche Schrift‹ oder ›Juden­lettern‹?

Die zweite Schriftfamilie veröffentlicht Flinsch 1913 mit ihm: die »Bernhard Fraktur«, eine sogenannte gebrochene Schrift, die fast 30 Jahre später, in der NS-Zeit, in eine geradezu aberwitzige Geschichte verwickelt werden sollte.

Charakteristisch für diesen Schrifttypus ist eine gewisse Härte, die von Bernhards leicht reduzierter ruhiger Kontur jedoch etwas abgefedert wird – eine weitere typografische Arbeit Lucian Bernhards, die den Zeitgeist auf den Punkt trifft. Die Vorkriegszeit ist geprägt von einer anwachsenden Nationalisierung, der Einsatz gebrochener Schriften, die als »besonders deutsch« bezeichnet werden, gewinnen an Ansehen. Das Gros der Drucksachen in Form von Anschlägen, Zeitschriften oder Zeitungen wird in Fraktur gesetzt, so ist auch Bernhards Frakturvariante aufgrund ihrer Beliebtheit aus dem Stadtbild nicht mehr wegzudenken.

Auch der »Völkische Beobachter« – das publizistische Parteiorgan der NSDAP – setzt die »Bernhard Fraktur« als Hausschrift ein, ohne sich darüber gewahr zu sein, dass der Font von einem jüdischen Urheber stammt.

Die Entdeckung dieses peinlichen Umstands  wird 1941 vermutlich der Auslöser für einen abrupten Kurswechsel sein.

Völkischer Beobachter, 31. Januar 1933
Völkischer Beobachter, 31. Januar 1933

Eine peinliche Entdeckung

Im Dritten Reich wird der Einsatz der Frakturschrift weiterhin als »besonders deutsch« empfunden. Sämtliche Propagandamittel sind übersät von dem gebrochenen Schriftbild. 1937 wird es gar jüdischen Verlagen verboten, die Fraktur zu verwenden. Doch 1941 kommt es zu einem plötzlichen Umschwung: Per Erlass wird die zuvor als »nicht-deutsch« bezeichnete Antiqua zur Normal-Schrift erhoben, die Fraktur dagegen zu  »Judenlettern« degradiert.

Was hatte diesen abrupten Kurswechsel verursacht? War es mit wachsender Expansion die Erkenntnis, dass die genannte Schriftform in den besetzten Nachbarländern zu Kommunikationsproblemen führte? Die Fraktur war dort kaum verbreitet und lag in den dortigen Druckereien somit auch nicht als Satzschrift vor. Oder war es vielmehr die peinliche Feststellung, dass die NSDAP für den  »Völkischen Beobachter« ausgerechnet eine Schrift verwendet hatte, die von einem jüdischen Grafiker stammte?

Der plötzliche Sinneswandel geht im ereignisreichen Kriegsgeschehen weitgehend unter. Die Assoziation der Fraktur mit einer »Nazi-Schrift« ist dennoch bis heute geblieben. 

Bernhard im Ersten Weltkrieg

Sein gestalterisches Talent bewahrt Lucian Bernhard im Ersten Weltkrieg vor Einsätzen an der Front. 1914 wird er zwar als Soldat eingezogen, agiert aber zunächst als Anstreicher militärischer Fahrzeuge und versieht diese mit Tarnmustern. Weiterhin ergeben sich Reklameentwürfe im Kriegskontext. 1916 entwirft Bernhard ebenso die Plakate für Kriegsanleihen, bei denen auch seine Fraktur zum Einsatz kommt.

Hier zeichnet man die Kriegsanleihe, Plakat 1915
Hier zeichnet man die Kriegsanleihe, Plakat 1915 / © Lucian Bernhard

Als erster Auftrag nach dem Krieg gilt der Entwurf einer 50-Mark-Note für die Reichsbank. Auch der Aufruf zur Wahl für die erste Nationalversammlung in Plakatform stammt aus Bernhards Feder.

Buchgestalter Bernhard

Bereits in frühen Auftragszeiten im ersten eigenen Atelier entstehen parallel zu seinem Großwerk an Plakaten eine Vielzahl von Coverentwürfen für das deutsche Verlagswesen. Mögen diese in der Designgeschichte zwar weniger präsent sein, bedeutet es jedoch nicht, dass Bernhards buchgestalterische Konzepte für die damalige Zeit nicht ähnlich innovativ wie sein Plakatstil sind.

Für jeden neuen Verlagskunden entwickelt er einen eigenen gestalterischen Ansatz. Er etabliert farbige Muster als Designelement auf Umschlägen, die einen Beitrag zur Wiedererkennung des Verlags leisten, flexibel eingesetzt werden können und obendrein die Buchreihe als dekorativen Blickfang im heimischen Bücherregal inszenieren. Er schafft Buchcover, die zu einem markanten Buchreihencharakter beitragen und noch heute als zeitlos empfunden werden können.

Anfänglich ist sein Stil noch stark vom Jugendstil geprägt, entwickelt sich über die Jahre aber immer mehr zur eigenen Handschrift. 1905 erscheint das einzige von Bernhard illustrierte Buch im Modern-Humoristischen Verlag. Jener Titel »Meine Alpenfahrt« gibt sein besonderes Gefühl für Farbakzentuierung preis, das in späteren Plakaten nicht mehr zu übersehen ist.

Die Wertschätzung für den Grafiker zeigt sich ebenso durch Aufträge ganzer Erscheinungsbilder von Verlagen, nachdem die Abwicklung eines Einzelprojekts positiv vonstattengegangen war. Für den Verlag Axel Juncker entwickelt Lucian Bernhard beispielsweise eine neue Geschäftsausstattung, Broschüren sowie die visuelle Erscheinung eines Großteils der publizierten Bücher.

Für die Konzeption des Gründungsprospektes für den Verlag Meyer & Jessen 1909 spielt neben der grafischen Ausgestaltung von Signets und typografischem Feingefühl auch die Materialwahl eine Rolle. Die Schriften stehen im Vordergrund, werden jedoch durch eine zurückgenommene materialorientierte Gestaltung umso mehr betont. Ab 1910 ist Bernhards Wertschätzung der Materialien als Teil eines Gestaltungskonzeptes nicht mehr zu übersehen. Farbakzente werden nun nicht nur grafisch gesetzt, sondern ebenso durch einen farbigen Buchschnitt vervollständigt. Ein Bucheinband wird nicht mehr losgelöst vom Innenteil betrachtet. Die Werke sind in der Regel eher schlicht, doch von einem ganzheitlichen Designansatz durchzogen.

Für die typografische Ausgestaltung im Buchinnern nutzt er zunächst vorhandene Schriften, schreibt Titel und Innentitel doch bevorzugt selbst mit der Feder. Weiter vervollständigt werden Lucian Bernhards buchgestalterische Arbeiten durch den Einsatz der eigenen Fonts. Sobald seine Satzschriften erscheinen, nutzt er diese natürlich auch zur Buchgestaltung und komplettiert so seinen ganzheitlichen Ansatz.

Es entstehen Kontakte zu bekannten Autoren. 1919 unternimmt Bernhard beispielsweise zusammen mit dem Autor Max Brod eine Reise nach Prag, um Franz Kafka dort einen Besuch abzustatten.

Bernhards inter­disziplinäres Netzwerk

Lucian Bernhards Netzwerk erweitert sich stetig, 1919 wird er künstlerischer Leiter bei der neuen Werbedienst GmbH, ist Gründungs- und Ehrenmitglied beim Bund der Deutschen Gebrauchsgraphiker (BDG). Auch sein Arbeitsfeld erstreckt sich mit der Zeit noch stärkter hin zur Interieur- und Gebäudegestaltung, ganzheitliche Markenbildung gehört zu Lucian Bernhards Stärken. Sicherlich kann man behaupten, dass Bernhard die Idee einer umfassenden Corporate Identity sowie deren Wirkung und Wichtigkeit mit ebnet. Durch geschäftliche Kontakte entstehen ebenso Freundschaften, die Arbeit für die Sektkellerei Henkell führt zu einem Ausstattungs­auftrag des Privathauses Karl Henkells ebenso wie zu dessen Patenschaft für Lucian Bernhards Sohn Karl.

Bernhards innenarchitektonische bis architektonische Tätigkeiten gipfeln im Entwurf des Verwaltungsgebäudes für einen seiner Schlüsselkunden, Zigarettenfabrikant Manoli, der 1922 umgesetzt wird. Sogar die Grabstätte des Firmengründers Jacob Mandelbaum gestaltet er.

Ein früher Kommentar zur Interieurgestaltung Bernhards zeigt die Parallelen der verschiedenen Disziplinen auf:

»Das Plakat, das dem Vorübergehenden eine nüchterne Botschaft einprägen möchte, und die Einrichtung, die den Verweilenden behaglich stimmt – sind das nicht zwei Kunstfelder, die ganz verschieden bestellt werden möchten? Bernhard entwirft ein Plakat mit unerhörter, natürlicher Sicherheit so, wie die Grundbedingungen seiner Wirksamkeit es verlangen. Solch ein knapp bemessenes Blatt soll aus der Ferne zünden … Dieser selbe Zeichner hat nun am Kurfürsten­damm die vollständige Einrichtung eines Cafés entworfen. Ohne ein anderer sein zu wollen, hat er auch hier wieder seine starke Begabung nun eben für das Plakat bestätigt; aber man bedenke: bei einem Café, dem die Kraft, Vorübergehende anzurufen, nur vorteilhaft ist. Die gewaltige eindrucksvolle Einfachheit des Plakats, hier finden wir sie wieder. … Es wirken nur einige herrschende Farben, verwendet mit der weisen Berechnung, die beim Plakatsteindruck jede Farbplatte an außereinanderliegenden Bildstellen haushälterisch verwendet.«

(aus: Fritz Blum: Das Café im Plakatstil, in: Mitteilungen des Vereins Deutscher Reklamefachleute, 1911

Auch der Wunsch, Lucian Bernhard als Dozenten einzusetzen, wird präsenter. Seit dem Kriegsende versucht der Direktor der Unterrichtsanstalt des Berliner Kunst­gewerbe­museums, Robert Paul, den gefragten Bernhard für seine Institution zu gewinnen. Nach umfangreichen Verhandlungen, einer Aufwertung des Lehrbereichs durch einen Professorentitel und finaler Berufung im Jahr 1922, gastiert Bernhard trotz allem nur sehr kurz in seiner neuen Rolle.

Bernhard in Amerika

Was als sechswöchige Vortragsreise durch die USA zusammen mit dem New Yorker Lithographen Roy Latham 1923 beginnen soll, veranlasst Lucian Bernhard in Amerika zu bleiben. Die Rundreise fällt ins Wasser, was Bernhard von seiner neuen Begeisterung für New York nicht abrücken lässt. Sein Berliner Atelier ist bei seinem Mitarbeiter Fritz Rosen (eigentlich Rosenthal) in guten Händen und wird später in »Atelier Bernhard Rosen« umbenannt.

Nicht sofort lässt sich an Bernhards Erfolg als Grafiker in Deutschland anknüpfen, gute Kontakte eröffnen ihm jedoch die Chance, schnell Räume in New York beziehen zu können. Mithilfe von Adolph Ochs, dem Besitzer der »New York Times«, erhält Bernhard ein Atelier im Times Annex Building. In diesem ansehnlichen hochstöckig gelegenen Umfeld agiert er zunächst vorwiegend als Innenarchitekt.

Mit einem angepassten amerikanischen Stil beweist Bernhard erneut seine Wandlungs­fähigkeit. 1926 wird der Hustensafthersteller REM für Bernhard ein lukrativer Kunde. Ebenso der Motorenhersteller AMOCO, General Motors, Pepsi oder unter weiteren der Schuhsohlenhersteller Cat´s Paw.

Etwa zehn Jahre später äußert sich Bernhard in einer Stellungnahme mit dem Titel »Was stimmt nicht mit dem amerikanischen Plakat?« zur Rolle des Grafikers in Amerika:

»Ich werde oft gefragt, warum es in Amerika keine nennenswerte Plakatkunst gibt. Menschen, die auf ihren Reisen durch Europa […] begeistert waren, wollen wissen, warum die meisten amerikanischen Plakate so phantasielos und banal sind. […] Es ist nicht so, daß es in Amerika nie eine gute Plakatkunst gegeben hätte […].Im Hinblick auf den Stand der Technik ist der amerikanische Werbelithograph seinen europäischen Kollegen weit überlegen. [...] Doch leider wird dem Künstler in Amerika abgesprochen, etwas im Kopf zu haben. Alles, was der Werbekunde oder die Agentur von ihm erwartet, ist sein handwerkliches Können. Wenn er denken könnte, so argumentieren sie, dann wäre er kein Künstler, sondern ein schlauer Geschäftsmann wie sie selbst. Apropos schlaue Geschäftsmänner: Es ist erstaunlich, wie wenige sich im klaren sind, daß die Menge von Werbetext auf einem durchschnittlichen Plakat unmöglich von einem Passanten aufgenommen werden kann, ob es sich um einen Autofahrer oder einen Fußgänger handelt. […] Die Hoffnung auf bessere amerikanische Plakate konzentriert sich auf Werbeagenturen, die auf diesem Gebieten in letzter Zeit zunehmend aktiv geworden sind.«

(aus: Lucian Bernhard: Was stimmt nicht mit dem amerikanischen Plakat? 1936) (gekürzt aus: PM 19, Jg. 2, Heft 7 , März 1936, aus dem amerikanische von Norbert Zänker / Kollegen)

Auch sein schriftgestalterisches Werk kann er ab 1928 in Kooperation mit American Type Founders weiter ausbauen. Anfänglich erweisen sich sogar seine Übersee-Reisen zwischen Deutschland und Amerika als besonders fruchtbare Arbeitszeit. Die langsame Anfahrt mit dem Schiff gibt ihm die Möglichkeit, sich den Schriftentwürfen intensiv und in Ruhe zuzuwenden. 1929 entsteht die Grotesk-Schrift »Bernhard Gothic«, die sich als charakterstark für Headlines erweist, in Fließtexten aber eher problematisch ist. Im Vergleich mit der, in einem ähnlichen Zeitraum in Frankfurt veröffentlichten Grotesk­schrift von Paul Renner, die stark geometrische »Futura«, kann sich Bernhards Gothic weniger durchsetzen. Weiterhin entstehen typografische Neuentwicklungen sowohl in dekorativer wie in sachlicher Form, außerdem langjährige Überarbeitungen älterer Schriftsätze. 1937 erscheint schließlich die stark ausgebaute »Bernhard Modern«, seine letzte Schrift.

Zeit des National­sozialismus

Ein erneuter Versuch von Bruno Paul, den nach Amerika ausgewanderten Grafiker 1932 für seine Kunsthochschule zu gewinnen, scheitert in diesem Fall aus rassistischen Gründen. Die Lage in Deutschland spitzt sich weiter zu. Den liberalen Direktor der Kunsthochschule selbst zwingen die immer stärker national­sozialistisch geprägten Tendenzen an der Hochschule schließlich zum Rücktritt. Bernhard hingegen nimmt sich 1933/34 der Lehrtätigkeit am amerikanischen Pratt Institute in Brooklyn sowie an der New York University an.

Viele in Berlin verbliebene Freunde und Bekannte Bernhards, vermehrt mit jüdischer Abstammung, sind dem Druck des sich radikalisierenden Deutschlands deutlich ausgesetzt. Die bekannte Plakatsammlung des Mitgründers des »Vereins der Plakat­freunde« und Herausgebers der Zeitschrift »Das Plakat«, Hans Sachs, wird beschlag­nahmt. Für ihn folgt ein kurzer KZ-Aufenthalt, er kann aber, sein Vermögen hinter sich lassend, in die USA fliehen. Mit Bernhard findet er dort einen Unterstützer.

Lucian Bernhards Geschäftspartner Fritz Rosen wird vom »Völkischem Beobachter« ins Kreuzfeuer genommen. Grund dafür ist ein sich gegen Adolf Hitler richtendes Plakat zur Wahl des Reichstags, das er unter einem Pseudonym 1932 entworfen hatte. Rosen entscheidet sich 1933 zur Emigration nach England. Auch Förderer und Freund Edmund Edel wird vom »Völkischem Beobachter« in den kritischen Fokus genommen und somit großer Gefahr ausgesetzt. Er stirbt 1934.

Letzte Jahre in New York

Kostümfest im Contempora Studio, New York City, ca. 1929 (in der Mitte sitzend Lucian Bernhard)
Kostümfest im Contempora Studio, New York City, ca. 1929 (in der Mitte sitzend Lucian Bernhard) / © Unbekannter Fotograf, Wikimedia Commons

Ab etwa 1930 schon hatte Kunst für Lucian Bernhard eine wichtige Rolle in seinem Leben gespielt. Anfangs ausgleichend zu seiner Arbeit, näherte er sich der Malerei. Er versuchte sich an verschiedenen Techniken und schuf eine Vielzahl von Kunstwerken, die jedoch eher unbekannt bleiben. Fern seiner sachlichen Stilistik in werblichen Aufträgen sind Aquarelle, Zeichnungen und spätere Plastiken eher dekorativ und üppig gehalten, mit einem leichten Hang zur Erotik.

Mit der Übernahme seiner Agentur durch seinen Sohn Karl 1945 eröffnen sich mehr Zeitfenster für die Auseinandersetzung mit dem eher künstlerischen Schaffen. 1956 verabschiedet sich Lucian Bernhard ganz offiziell von seiner beruflicher Tätigkeit mit einer Ausstellung. Bernhard stirbt 1972 in New York.

Lucian Bernhard um 1950
Lucian Bernhard um 1950

Teilen &
Erinnerung schaffen

#tsurikrufn – machen Sie mit!

Mit dem Teilen dieses Porträts in sozialen Netzwerken unterstützen Sie unser Anliegen, an jüdische Persönlichkeiten, die unsere Gesellschaft seit über 1.700 Jahren mitgestalten, aktiv zu erinnern.

Über das Porträt

Ein »Erinnerungsstück« der
Stiftung Buchkunst, Frankfurt am Main / Leipzig
stiftung-buchkunst.de

Autorin: Carolin Blöink, Marketing & PR, Stiftung Buchkunst

Redaktionelle Bearbeitung und Gestaltung: Dr. Jessica Popp, AsKI e.V.

Techn. Bearbeitung von Bild-, Audio- und Videodateien: Franz Fechner, AsKI e.V.

Quellenangaben

 

Die Stiftung Buchkunst
Seit über 60 Jahren fördert die Stiftung Buchkunst das vorbildlich gestaltete Gebrauchsbuch und verschafft ihm durch drei bedeutende Wettbewerbe – »Die Schönsten Deutschen Bücher«, »Förderpreis für junge Buchgestaltung« sowie »Best Book Design from all over the World / Schönste Bücher aus aller Welt«, den internationalen Wettbewerb in Leipzig – ein viel beachtetes Forum. Die Ergebnisse dieser Wettbewerbe setzen Orientierungspunkte und verfolgen seismografisch neue Entwicklungen.

Die Vielzahl junger Preisträger unterstreicht die Offenheit der Wettbewerbe für Innovation, ohne dabei den Bezug zur langen Buch-Tradition zu verlieren.

Die Stiftung Buchkunst begleitet kritisch die deutsche Buchherstellung. Das Gebrauchsbuch steht dabei im Mittelpunkt. »Die schönsten deutschen Bücher« – vorbildlich in Gestaltung, Konzeption und Verarbeitung – werden jedes Jahr von einer unabhängigen Jury prämiert. Die prämierten Bücher und die der Short- und Longlist werden auf der Frankfurter Buchmesse ausgestellt.

Die Kollektion der »Schönsten deutschen Bücher« ist in Buchhandlungen, Bibliotheken und Universitäten in vielen Orten Deutschlands zu sehen, ebenso auf Messen im In- und Ausland. Die Kollektion eines Jahrgangs kann zu Ausstellungszwecken ausgeliehen werden.